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Das neue Ignaz Semmelweis Institut: Universitätsübergreifende Einrichtung geht an den Start

Pandemievorsorge made in Austria

Zuletzt hat uns die Coronapandemie vor Augen geführt, welche Auswirkungen Infektionskrankheiten auf die Gesundheit der Menschen und die Gesellschaft haben können. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, wurde mit dem Ignaz Semmelweis Institut ein neues universitätsübergreifendes Forschungsprojekt gestartet. Dessen Direktor Univ.-Prof. Dr. Florian Krammer hat uns mehr darüber erzählt.

Mit Anfang 2025 hat das neue Ignaz Semmelweis Institut seine Arbeit aufgenommen – ein Zusammenschluss der Medizinischen Universitäten Wien, Innsbruck und Graz, der Johannes Kepler Universität Linz sowie der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Das Institut widmet sich der Erforschung von Infektionskrankheiten, um Krankheitserreger und Krankheiten besser zu verstehen und die Entwicklung von Gegenmaßnahmen wie Therapeutika und Impfstoffe zu forcieren. Univ.-Prof. Dr. Florian Krammer, Mount-Sinai-Stiftungsprofessor für Vakzinologie an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, leitet ab sofort nicht nur eine der neuen Forschungsgruppen, sondern steht dem Institut auch als Direktor vor. Wir durften mit ihm über die Zukunft dieses wegweisenden Projekts sprechen.

Mit Anfang dieses Jahres startete das Ignaz Semmelweis Institut – können Sie uns ein paar Fakten dazu nennen?

F. Krammer: Wir sind gerade noch mit dem Aufbau beschäftigt. Es wird jetzt eine Zeit lang dauern, bis wirklich alles „up and running“ ist, aber das Konzept ist Folgendes: Wir bauen ein Institut auf, das sich einerseits mit Grundlagenforschung zu Infektionskrankheiten beschäftigt, andererseits aber wirklich darauf fokussiert, auf Pandemien bzw. Epidemien vorzubereiten und in weiterer Folge darauf zu reagieren. Außerdem wollen wir eine Community bilden, um all die Leute, die ohnehin schon exzellente Forschung in Österreich betreiben, mit einzubinden. Es geht aber auch darum, uns in Europa sowie global zu vernetzen.

Das Institut wird von der MedUni Wien, der MedUni Innsbruck, der MedUni Graz, der JKU Linz – dort die Fakultät für Medizin – und der VetMedUni Wien getragen. Dazu gibt es jeweils einen Professor bzw. eine Professorin: Subhra K. Biswas in Graz, Peter Willeit in Innsbruck, Doris Wilflingseder an der VetMed, Helmut Salzer an der JKU Linz und ich in Wien, unter anderem als Direktor des Instituts (Abb. 1). An jedem der Standorte werden die genannten Professor:innen ihre Arbeitsgruppen etablieren. Zudem werden wir „junior principal investigators“, also junge Gruppenleiter, anstellen, die in Wien verortet sein werden. Aus Platzgründen werden wir nächstes Jahr vorübergehend ins Zentrum für Präzisionsmedizin an der MedUni Wien ziehen. Langfristig ist geplant, dass dem Ignaz Semmelweis Institut bis 2027/28 ein eigenes Gebäude zur Verfügung steht.

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Abb. 1: Die Professor:innen des Ignaz Semmelweis Instituts (v.l.n.r.): Biswas, Wilfingseder, Willeit, Salzer und Krammer

Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang, hervorzuheben, dass es nicht so ist, dass ich in Wien bin und alle anderen woanders. Wir wollen in Zukunft gemeinsame Seminarreihen abhalten, an denen wir gerade arbeiten, Studenten sollen gemeinsam betreut werden, und wir streben eine sehr gute Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern an. Zum Beispiel sollen Forschende aus Innsbruck oder Linz nach Wien kommen, die dann auch einen Platz im Labor haben, bzw. wird es möglich sein, von Graz nach Innsbruck zu gehen und dort Erfahrungen zu sammeln, wenn es Sinn macht. Wir wollen also sehr interaktiv sein.

In welcher Größenordnung wird sich das Projekt personaltechnisch bewegen?

F. Krammer: Neben den jungen Arbeitsgruppenleitern wird es natürlich einige PhD-Studenten, Post-Docs und Techniker geben. Das neue Gebäude ist für eine Kapazität von ca. 120 bis 140 Personen geplant – wobei die Arbeitsgruppen aus den Bundesländern hier nicht dazugezählt sind. Was die Laborfläche betrifft, gibt es natürlich grundsätzlich eine Finanzierung für das Semmelweis-Institut, für viele dieser späteren Mitarbeitenden werden wir Drittmittel einwerben müssen – aber das ist normal und an dem sind wir auch schon dran.

Sie stehen – neben Ihrer Funktion als Professor für Vakzinologie in New York und als Professor für Infektionsmedizin am Ignaz Semmelweis Institut – dem Institut ja auch als Direktor vor. Wie ist das alles mit Ihrer Zeit vereinbar?

F. Krammer: Momentan bin ich zum Großteil noch in New York und ca. 20% in Österreich – das wird sich wahrscheinlich über die Zeit ändern. Wie gesagt, wir sind im Aufbau, aber wenn das Projekt voll läuft, kann man das, glaube ich, mit 20% nicht machen. Dann wird sich mein Lebensmittelpunkt wieder nach Österreich bewegen.

RNA-Viren sind Ihr Spezialgebiet – worauf werden die Forschungsbemühungen des Instituts konkret abzielen?

F. Krammer: Einerseits ist natürlich der lokale Fokus interessant: z.B. die Hantaviren – da tut sich einiges, und da braucht es die Entwicklung von Therapeutika, aber auch von Impfstoffen. Zukünftig lokal an Bedeutung gewinnen werden andere durch Viren ausgelöste Krankheiten, wie das hämorrhagischeKrim-Kongo-Fieber, Chikungunya, Dengue-Fieber – allesamt Krankheiten, die mit dem Klimawandel vielleicht nach Österreich kommen werden.

Dann gibt es in Österreich eine sehr starke Forschung zu Pilzerkrankungen, Aspergillosen zum Beispiel. Auf dem Gebiet ist Helmut Salzer der Experte, der sich diesem Thema widmen wird.

Natürlich gibt es aber auch internationale Themen, die von Bedeutung sind: H5N1, die Vogelgrippe, ist gerade ein sehrheißes Thema, an dem wir sicher arbeiten werden, und natürlich alles, was Pandemien auslösen könnte – Influenza- und Coronaviren im Generellen, aber auch einige Paramyxoviren sind interessant.

Stichwort Pandemien: Wie schätzen Sie die Lage ein? Werden wir in absehbarer Zukunft wieder mit einer Pandemie konfrontiert sein?

F. Krammer: Wir hatten in den letzten etwa 100 Jahren 6 Pandemien – 4x Influenza, HIV und Covid. Die Chance ist also recht hoch, dass es bald wieder irgendeine Pandemie geben wird. Was es sein wird, kann man schwer sagen, wann genau, kann man auch schwer vorhersagen. Man beobachtet Intervalle: Bei Influenza waren die Pandemien 1918, 1957, schon wieder 1968, dann war länger Ruhe und 2009 ist wieder eine gekommen. Zwischendurch – 1981/1982 – brach HIV über uns herein und 2019 kam SARS-CoV-2 – es ist also schwer abzuschätzen.

Gehen Sie davon aus, dass uns zoonotische Infektionskrankheiten in den nächsten Jahrzehnten stärker beschäftigen werden?

F. Krammer: Ich glaube, dass Influenza grundsätzlich stark im Fokus stehen wird, eben weil 4 der letzten 6 Pandemien darauf zurückzuführen waren. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass die nächste wieder eine Influenza-Pandemie sein wird. Es gibt allerdings genügend andere zoonotische Kandidaten. Generell kann man diese Thematik nur aus der „One-health“-Sicht betrachten. Vogelgrippe, Schweinegrippe, saisonale Influenza bei Menschen – das ist im Prinzip ja alles das Gleiche und hängt zusammen, alles ist Influenza. Daher kann man es nur als großes Ganzes betrachten. Pandemien werden nun mal nicht von humanen Viren ausgelöst, sondern von Viren, die aus Tieren in den Menschen springen.

„Reemerging viruses“, wie z.B. das Masernvirus, sind natürlich auch ein relevantes Thema, aber die lösen im Regelfall keine Pandemien aus. Zudem gibt es da ja wirksame Impfstoffe – sie müssen nur verwendet werden.

Sie arbeiten an Therapeutika und Impfstoffen – wo gibt es diesbezüglich nennenswerte Fortschritte?

F. Krammer: Was man während der Coronapandemie gesehen hat, vielleicht mehr in den USA als in Europa: Monoklonale Antikörper wurden oft eingesetzt. Deren Verwendung in Zusammenhang mit Coronaviren war im Endeffekt problematisch, weil sich die Viren so stark verändert haben, dass die Antikörper nicht mehr gewirkt haben. Aber solange die Antikörper zur Variante gepasst haben, haben sie super funktioniert – sowohl als Therapie als auch als Prophylaxe. Zur Prophylaxe konnte man immunschwachen Personen, die auf Impfungen reagiert haben, Antikörper geben, die sie geschützt haben. Das ist eine Technologie, die sehr wichtig ist, und gerade bei Hantaviren könnte man sie theoretisch auch einsetzen. Zurzeit gibt es Arbeitsgruppen – inklusive unserer –, die solche monoklonalen Antikörper für Hantaviren entwickelt haben. Die Antikörper wirken im Tiermodell. Sie schützen im Tierversuch und neutralisieren das Virus.

Als nächsten Schritt müssen wir die Ergebnisse in der Klinik umsetzen und die Antikörper zur Zulassung bringen. Das wird vielleicht auch ein Fokus des Ignaz Semmelweis Instituts sein, vielleicht auch gemeinsam mit der MedUni Graz, konkret mit Robert Krause. Da gibt es ganz gute Ideen und vielleicht haben wir in ein paar Jahren schon etwas, das wir bei Hanta einsetzen können. Wäre schön, oder?

Sie sind momentan in den USA, einem Land, das schon immer sehr stark in der Forschung war und ist. Wie schätzen Sie die Zukunft der Forschung angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen ein?

F. Krammer: Grundsätzlich glaube ich nicht, dass sich die Situation drastisch ändern wird. Vermutlich werden sich Forschungsinteressen und -förderungen verlagern. Die neue Regierung hat ja schon einige Hinweise gegeben: Der Fokus wird sich wahrscheinlich ein bisschen wegbewegen von Infektionskrankheiten, ich sehe da Kürzungen. Ich sehe aber auch, dass vielleicht die Krebsforschung bzw. alles, was Diätologie, Nahrungsmittelforschung betrifft, mehr Geld bekommen wird.

Das hat viel mit den Personen, die jetzt vorgeschlagen wurden, um die NIH bzw. das Gesundheitsministerium zu übernehmen, zu tun. Ich glaube aber, grundsätzlich wird die Forschungsstärke der USA nicht einbrechen. Momentan herrscht hier viel Chaos, was damit zu tun hat, dass sich gerade keiner auskennt und viel Unsicherheit herrscht. Es kommen kurzfristige Verordnungen raus, die Stillstand in vielen Dingen hervorrufen, die aber nach ein paar Wochen bzw. Monaten auslaufen werden. Und dann sollte es unter neuer Führung relativ normal weitergehen. Ich sehe das alles weniger drastisch als vielleicht manche meiner Kollegen.

Haben Sie noch ein Schlusswort für unsere Leser:innen?

F. Krammer: Ich möchte betonen, dass es mir besonders wichtig ist, mit Klinikern zusammenzuarbeiten. Es gibt viele Ärzte, die mit Patienten arbeiten und so Daten generieren, die die Basis für Grundlagenforschung bilden könnten. Hier wollen wir ansetzen, ein bisschen mithelfen und ein Netzwerk bilden; Kliniken mit einbinden, wenn es interessante Fälle gibt bzw. interessante Infektionskrankheiten, die man grundlagenwissenschaftlich in Österreich auch bearbeiten sollte. Wir sind offen für Kollaborationen! Genauso ist auch die Zusammenarbeit mit Robert Krause in Graz entstanden: Ich habedamals, während der Pandemie, auf Radio Steiermark ein Interview über Corona gegeben. Dabei habe ich erwähnt, dass mich Hantaviren interessieren,er hat mich kontaktiert und seitdem arbeiten wir zusammen.

Ich glaube, dass es – über die klinische Forschung und die Klinik selbst hinaus – sehr viel Potenzial gibt, die Grundlagenforschung betreffend zu kollaborieren.

Vielen Dank für das Gespräch!
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