SARS-CoV-2: die epidemiologische Situation und die Impflandschaft
Bericht:
Dr. Norbert Hasenöhrl
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Auch wenn manche es gern hätten: Covid-19 ist nicht vorbei. Derzeit dominieren XBB-Varianten das Geschehen, und das wird wahrscheinlich auch noch im Herbst so sein. Was man daraus bezüglich der Impfstrategien für Schlüsse zieht und welche Strategien überhaupt erwartet und möglich sein werden, erklärt der Wiener Vakzinologe Univ.-Prof. Dr. Herwig Kollaritsch.
Bezüglich der Impfoptionen gegen Covid-19 ist ja inzwischen ein wenig Ruhe eingekehrt, aber der Herbst ist nicht mehr weit und deshalb wird man sich wohl überlegen müssen, wie es in dieser Frage weitergeht“, begann der bekannte Wiener Impfexperte Univ.-Prof. Dr. Herwig Kollaritsch seinen Vortrag.
XBB dominiert zurzeit
Zunächst ist klar, dass aufgrund der enormen Variabilität von SARS-CoV-2 jederzeit mit dem Auftreten neuer Varianten zu rechnen ist. Derzeit dominieren XBB-Varianten. Dabei handelt es sich nicht um eine Mutation, sondern um ein rekombinantes, im Sommer 2022 aus zwei BA.2-Sublinien entstandenes Virus, das eine neue Linie mit eigenen biologischen Eigenschaften begründet hat. XBB ist hoch immunevasiv und seine Subtypen sind miteinander eng verwandt, aber relativ weit entfernt von den BA-Varianten. „Diese XBB-Varianten sind sehr fit, und es deutet vieles darauf hin, dass sie das epidemiologische Geschehen im Hinblick auf Covid-19 in den nächsten Monaten bestimmen werden“, so Kollaritsch. „Allerdings sind die von XBB-Viren ausgelösten Fallzahlen im Vergleich zur zahlenmäßigen Bedeutung dieser Variante gar nicht so groß“, schränkte der Experte ein.
Die Ausbreitung der XBB-Varianten ist je nach Kontinent unterschiedlich. Während in den USA XBB.1.5 stark dominiert, ist diese Variante in Europa schon im Begriff abzunehmen und wird langsam von XBB.1.9 verdrängt. In Asien herrscht wiederum eine andere Dynamik.
Impfung: wirkt gut, aber nicht sehr lang
Bezüglich der Wirksamkeit von Impfungen gegen SARS-CoV-2 sind einige Parameter zu unterscheiden: Die Wirksamkeit gegen die Infektion hat vor allem epidemiologische Bedeutung; die Wirksamkeit gegen symptomatische Erkrankung reduziert die allgemeine Krankheitslast und auch Long Covid; die Wirksamkeit gegen Hospitalisierung ist wichtig für die Reduktion der Belastung der gesundheitlichen Infrastruktur, und schließlich ist noch die Wirksamkeit gegen Tod durch Covid-19 zu nennen.
„Aus den derzeit vorhandenen Daten, die allerdings XBB noch nicht umfassen, wissen wir, dass vor allem hybridimmune Personen – also solche, deren Immunität teils von einer Impfserie, teils von durchgemachten Erkrankungen stammt – eine sehr solide und lang anhaltende Immunität haben. Und diese Situation ist ja in der österreichischen Bevölkerung sehr häufig“, führte Kollaritsch aus. Das bedeutet konkret, dass solche Personen für ungefähr ein Jahr vor schweren Covid-19-Erkrankungen geschützt sind; Vorhersagen für längere Zeiträume sind nach wie vor schwierig.
Das ECDC hat für das Jahr 2022 fast 130000 Fälle von Covid-19 ausgewertet, wobei alle Personen dreimal geimpft waren und nach der dritten Dosis an Covid-19 erkrankten. In dieser Population lag das Hospitalisierungsrisiko bei 1%, das Todesrisiko bei 0,09%.
Wenn allerdings die letzte Impfdosis mehr als neun Monate vor der Erkrankung verabreicht worden war, stieg das Risiko für eine Hospitalisierung im Vergleich zu jener Gruppe, die innerhalb der letzten drei Monate geimpft worden war, auf das Doppelte, das Todesrisiko sogar auf knapp das Fünffache. Männer und ältere Menschen hatten generell ein höheres Risiko für Hospitalisierung oder Tod.
Impfoptionen
Weltweit sind über 50 Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 zugelassen, Hunderte weitere befinden sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. In der EU zugelassen sind zwei mRNA-Impfstoffe (Comirnaty®, Spikevax®), zwei Vektorimpfstoffe (Vaxzevria®, Jcovden®), drei Proteinimpfstoffe (Nuvaxovid®, VidPrevtyn Beta®, Bimervax®) und ein Ganzvirus-Totimpfstoff (COVID-19 Vaccine Valneva®).
Bis 21. März 2023 wurden in Österreich 20,4 Millionen Dosen verimpft, davon entfielen 82% auf Comirnaty®, gefolgt von Spikevax® und Vaxzevria® mit jeweils etwas unter 10%. Ein kleinerer Prozentsatz entfiel auf Jcovden®; die restlichen Impfstoffe wurden nur in kleiner Zahl verwendet. „Man muss fairerweise sagen, dass unter Spikevax® etwas häufiger Myokarditisfälle aufgetreten sind als unter Comirnaty®; deshalb wird Spikevax® auch weniger verwendet. Die Vektorimpfstoffe werden hierzulande praktisch nicht mehr verimpft“, so Kollaritsch.
Derzeit wird in Österreich folgendermaßen verfahren: Für die Erstserie (1. und 2. Teilimpfung) werden die Erstgenerationsimpfstoffe verwendet. Für die dritte Teilimpfung (die nach aktueller Nomenklatur jedoch noch zur Grundimmunisierung zählt) werden vorwiegend die neueren bivalenten Impfstoffe (BA.1 oder BA.4/5) herangezogen (cave: „off-label“ für die Altersgruppe 5–12 Jahre), für die vierte Impfung stehen diese primär zur Verfügung. „Sonderwünsche der zu impfenden Personen, etwa nach Nuvaxovid® oder dem Valneva-Impfstoff, werden nach Möglichkeit erfüllt“, schilderte der Experte.
Neue Impfstoffe und was sie können sollten
Seit dem Aufkommen von Omikron hat sich die Gesamtsituation geändert. Nahezu die gesamte Population hatte bereits mit dem Virus Kontakt oder ist zumindest angeimpft, sodass die Gefahr hinsichtlich schwerer Erkrankung bzw. Tod geringer ist als früher. Diese Immunität nimmt langsam ab. Darüber hinaus reduzieren die inzwischen vorhandenen Therapieoptionen das Risiko für schwere Verläufe bzw. Tod weiter. Andererseits ist aber die Impfwirkung gegen die symptomatische Infektion wegen der Immunevasion der neuen Varianten deutlich schlechter geworden.
„Unsere Zielvorstellung für die Covid-19-Impfung beginnt sich daher heute ein wenig jener für Influenza anzunähern“, erklärte Kollaritsch. „Das heißt, es geht um die Verhinderung von Hospitalisierungen und Todesfällen und auch um die Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems durch extrem viele spitalspflichtige Personen.“ Primäre Zielgruppen sind dabei ältere und vulnerable (insbesondere immunsupprimierte) Personen.
Die Anforderungen an die Impfung sind daher folgendermaßen zu formulieren:
-
Zuverlässige Verhinderung von schweren Verläufen und Todesfällen, vor allem in den Risikogruppen
-
Anhalten des Impfschutzes zumindest bis zum Ende der kalten Jahreszeit
-
Anpassung des Impfstoffs an neue „variants of concern“
„Das bedeutet, dass eine einmal im Jahr verabreichte Impfung eigentlich ausreichen sollte“, fasste der Impfexperte zusammen.
Im Gegensatz zu früheren Aussagen waren übrigens die sogenannten Variantenimpfstoffe klinisch durchaus erfolgreicher als die ursprünglichen monovalenten Vakzinen. „Es ist damit zu rechnen, dass sich, ähnlich wie bei Influenza, saisonal dominante Varianten von SARS-CoV-2 identifizieren lassen werden, die auch impfstoffrelevant werden. Voraussetzung für ein solches Vorgehen, also die saisonale Impfstoffanpassung, ist natürlich ein Variantenmonitoring“, stellte Kollaritsch klar.
Laut WHO sollte für zukünftige Immunisierungswellen ein Impfstoff verwendet werden, der auf XBB.1 beruht, weil dieses Virus vermutlich die Basis für die in naher Zukunft entstehenden Varianten sein wird und die antigenetischen Unterschiede zwischen den einzelnen zirkulierenden XBB-Varianten relativ gering sind. Solche Impfstoffe sollten ab Herbst zur Verfügung stehen. „Die von der WHO geforderte Anpassung der Impfstoffe an XBB gilt grundsätzlich für alle Impfstoffplattformen, mit einer Ausnahme: Wenn ein Hersteller mit einer von XBB abweichenden Vakzine eine robuste neutralisierende Immunantwort und eine einem XBB-Impfstoff klinischnicht unterlegene Wirksamkeit nachweisen kann, so ist dies natürlich auch akzeptabel“, so Kollaritsch.
Zwar ist die Datenlage zu XBB-Impfstoffen – vor allem im Humanbereich – noch sehr eingeschränkt. Die bisherigen Daten zeigen aber eine gute Immunantwort, wobei monovalente Impfstoffe den bivalenten überlegen sind. Die Boosterantworten sind bei hybridimmunen und nur vorgeimpften Personen ähnlich, die Impfanamnese spielt kaum eine Rolle. Klinische Wirksamkeitsdaten sind allerdings bisher (Stichtag: 20.Juni) noch von keinem Hersteller verfügbar.
Das zuständige WHO-Gremium will – auch dies etwa analog zu Influenza – zweimal jährlich anhand aktueller Daten prüfen, ob es Veränderungen der genetischen und antigenetischen Situation bei SARS-CoV-2 gibt.
Was diese notwendigen Anpassungen der Impfstoffe angeht, so ist die mRNA-Plattform zweifellos im Vorteil, da hier die nötigen Anpassungen innerhalb von zwei bis drei Monaten erfolgen können und in hohen Mengen skalierbar sind, während Proteinimpfstoffe ab Festlegung des Antigens eine Produktionszeit von wenigstens sechs Monaten erfordern.
Empfehlungen für den Herbst?
Im Herbst werden in Österreich höchstwahrscheinlich größere Mengen eines XBB-angepassten mRNA-Impfstoffs von Pfizer/Biontech verfügbar sein, zudem möglicherweise ein monovalenter XBB.1.5-Variantenimpfstoff (Nuvaxovid®).
Die finalen Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums (NIG) für den Herbst sind noch in Arbeit. Hier gibt es noch eine Reihe von Fragen zu klären, etwa welche XBB-Impfstoffe bis Herbst von der EMA zugelassen sein werden, welche Kriterien diese Zulassungen beinhalten und welche Firmen dann tatsächlich liefern können. Auch an der Definition der zu impfenden Personengruppen und ihrer Priorisierung wird noch gearbeitet. Schließlich wird es auch wichtig sein, eine Covid-19-Impfaktion mit den Impfaktionen gegen Influenza und RSV abzustimmen. Daher wird erst gegen Ende August mit einer präzisen Empfehlung des NIG zu rechnen sein.
Quelle:
„Nicht-mRNA-Impfoptionen“; Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Herwig Kollaritsch im Rahmen des Giftigen LiveStreams „COVID-19: Der Booster steht an“; 20. Juni 2023 abrufbar in der Mediathek unter infektiologie.co.at
Literatur:
beim Vortragenden
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