Impfskepsis und Impfpflicht – was sagt der Psychologe?
Bericht:
Dr. Norbert Hasenöhrl
Ein Vortrag am Österreichischen Impftag galt den psychologischen Aspekten des Impfens, insbesondere der Impfskepsis und den Auswirkungen der Impfpflicht gegen Covid-19.
Keypoints
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Die aktuelle Datenlage erfüllt die Kriterien, die eine Impfpflicht gegen Covid-19 aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive zweckmäßig erscheinen lässt.
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Eine Impfpflicht wird kurzfristig zu starker Opposition führen, die längerfristigen Effekte sind aber weitgehend unbekannt.
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Ein stetiges Monitoring der öffentlichen Stimmungslage ist erforderlich, einerseits um einer Eskalation rechtzeitig entgegenzuwirken, andererseits um langfristige negative Folgen für die Impfbereitschaft in Österreich zu vermeiden.
Einen Blick auf die Themen Impfskepsis und Impfpflicht aus psychologischer Sicht und auf interessante Fakten dazu warf Univ.-Prof. Dr. Robert Böhm, seit September 2021 Professor für Sozialpsychologie im Kontext von Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft an der Fakultät für Psychologie, Universität Wien.
Gründe für das (Nicht-)Impfen
Seit Jahren wird das 7C-Modell verwendet, daskontinuierlich weiterentwickelt wurde, um die Gründe zusammenzufassen, warum sich Menschen impfen oder nicht impfen lassen (Abb.1).
Abb. 1: Das 7C-Modell (Quelle: Böhm R.)
Gründe für das Impfen sind „Confidence“ (i.w.S.der Glaube an die Wirksamkeit und Sicherheit der Impfung, aber auch an das medizinische und politische System), „Collective Responsibility“ (i.e. Verantwortungsgefühl nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere) und „Compliance“ (i.w.S.sich an Gesetze und Normen zu halten – u.a. auch an die Impfpflicht). Gründegegen das Impfen sind „Complacency“ (d.h.eine fehlende Risikowahrnehmung), „Constraints“ (i.e. physische oder auch psychologische Barrieren), „Calculation“ (i.w.S. das Ergebnis intensiver Informationssuche, was leider häufig zu Desinformation führt, wenn gute und schlechte Informationsquellen nicht unterschieden werden können) und „Conspiracy“ (i.e. der Glaube an Verschwörungstheorien).
„Tatsächlich haben aktuelle Untersuchungen gezeigt, dass sich gegen Covid-19 geimpfte und ungeimpfte Personen in all diesen sieben Aspekten – teils erheblich – voneinander unterscheiden“, erläuterte Böhm. Besonders der Mangel an Vertrauen (Confidence) und die Neigung zu Verschwörungstheorien (Conspiracy) reduzieren immer die Möglichkeit für kommunikative Interventionen.
Aktuelle Stimmungslage in Österreich
Auch zur aktuellen Stimmungslage konnte Böhm Daten aus Österreich präsentieren. Die Stichprobe bestand aus 2075 Personen, davon 808 ungeimpft und 1267 geimpft. 76% der Ungeimpften gaben an, sich auf gar keinen Fall gegen Covid-19 impfen lassen zu wollen. Nur 4% sagten, sie wollen sich (eher) schon impfen lassen. Weiters gaben 41% der Ungeimpften an, sich in Zukunft auch gegen keine andere Krankheit mehr impfen zu lassen. „Hier kann man zumindest den positiven Umkehrschluss ziehen, dass mehr als die Hälfte der Ungeimpften keine prinzipiellen Impfverweigerer sind“, so der Psychologe.
55% der Ungeimpften gaben an, Angst vor der Impfung zu haben, 8% befürchteten sogar, an der Impfung zu sterben. Nach Mediennutzung stratifiziert, zeigte sich, dass Ungeimpfte deutlich seltener klassische Medien wie Fernsehen, Radio und Zeitung nutzen und sich eher über soziale Medien wie Facebook oder digitale Nachrichtendienste wie Telegram informieren.
Was das Vertrauen angeht, so haben Ungeimpfte deutlich weniger Vertrauen in die Bundesregierung, in die Wissenschaft und in ihre Hausärzte. 88% der Ungeimpften, aber nur 38% der Geimpften empfinden die öffentliche Debatte zum Thema Impfen als „unfair, überheblich und moralisierend“.
Pro und kontra Impfpflicht
Was sind die Kriterien für und gegen eine Impfpflicht?
Kriterien, die für die Einführung einer Impfpflicht sprechen bzw. deren Voraussetzung fordern, sind:
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Die Krankheit ist nicht ausreichend eingedämmt.
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Die Impfung ist für diejenigen empfohlen, für die eine Impfpflicht erwogen wird.
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Es ist ausreichend Impfstoff vorhanden.
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Verfügbare wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit der Impfung wurden transparent kommuniziert.
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Es ist eine Infrastruktur vorhanden, die den Zugang zur Impfung ohne finanzielle oder logistische Hindernisse ermöglicht, und die Echtzeitüberwachung von Impfstoffnebenwirkungen (einschließlich der Entschädigung im Fall von schweren Nebenwirkungen) ist möglich.
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In einer zeitlich begrenzten Evaluierungsphase hat sich gezeigt, dass die Impfquote bei vulnerablen Gruppen bei einer freiwilligen Regelung zu gering ist, um eine epidemische Ausbreitung zu verhindern.
Für eine Impfpflicht spricht, dass sie sozial ist und das Gemeinwohl stärken kann, weil ein besserer Schutz für gefährdete Bevölkerungsgruppen erreicht wird. Eine Impfpflicht kann effektiv sein, wie bei anderen Impfungen (gegen Masern, Pertussis) in diversen Studien dargestellt wurde. „Allerdings muss man fairerweise sagen, dass wir hier von Erhöhungen der Durchimpfungsraten im Ausmaß von etwa 2 bis 4%sprechen“, schränkte Böhm ein.
Weiters sollte die Impfpflicht aktuell in der Gesellschaft akzeptiert sein. Hier konnte für Österreich gezeigt werden, dass 67% der Geimpften eine Beratungspflicht und 60% eine Impfpflicht befürworten, während die analogen Werte bei Ungeimpften nur 14% bzw. 3% betragen.
„Langfristig könnte eine Impfpflicht sogar dazu beitragen, das Gefühl der Diskriminierung und Spaltung in der Gesellschaft zu verringern, obwohl das vielleicht kontraintuitiv klingen mag“, so Böhm. Faktum ist, dass derzeit 29% der Ungeimpften, aber nur 7% der Geimpften angeben, sich am Arbeitsplatz diskriminiert zu fühlen.
Welche Argumente sprechen gegen eine Impfpflicht?
Zunächst kann sie psychologische Nebenwirkungen haben, d.h., sie kann zu Ärger und daraus resultierend zu vermeidendem bis konträrem Verhalten führen. „Wenn man Impfgegner fragt, was sie denn nach Einführung der Impfpflicht tun werden, hört man oft, dass sie alles versuchen werden, um die Impfung zu vermeiden, und dass sie planen,mit Aktivismus zu reagieren“, fuhr der Psychologe fort. Man spricht hier von „Reaktanzeffekten“.
Weiters kann die Impfpflicht auch „impffaul“ machen, einerseits bei anderen, freiwilligen Impfungen, andererseits – wenn eine zielgruppenspezifische Impfpflicht eingeführt wird – in jenen Gruppen, für die die Impfung freiwillig bleibt.
„Zur konkreten Ausgestaltung des Impfpflichtgesetzes in Österreich ist zu sagen, dass es günstig ist, dass die Impflicht nicht für Kinder gilt, weil dies sonst zu stärkeren Reaktanzeffekten führen könnte“, so Böhm. Die Zielgrößen beim Monitoring und bei der Evaluierung sollten angepasst werden.So ist z.B. eine Durchimpfungsrate von über 90% wohl durch die Impfpflicht allein nicht erreichbar. „Günstig es auch, wenn es für Ausnahmeregelungen nur medizinische, nicht aber weltanschauliche oder religiöse Gründe geben darf“, so Böhm abschließend.
Quelle:
„Impfskepsis und Impfpflicht aus psychologischer Perspektive“, Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Robert Böhm, Professor für Sozialpsychologie im Kontext von Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft an der Fakultät für Psychologie, Universität Wien, im Rahmen des (hybriden) Österreichischen Impftags, 22. Jänner2022
Literatur:
beim Vortragenden
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