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FODMAP-Diät – der neue Hype?
Jatros
Autor:
PD Dr. Miriam Thumshirn
Chefärztin, Abteilung Gastroenterologie<br/> St. Claraspital, Basel<br/> E-Mail: miriam.thumshirn@clarunis.ch
30
Min. Lesezeit
28.03.2019
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<p class="article-intro">Die Diagnose Reizdarmsyndrom (RDS) kann basierend auf den sogenannten Rom-IV-Kriterien mit großer Sicherheit klinisch gestellt werden.<sup>1</sup> Es sollte keine Ausschlussdiagnose sein. Die Diagnose sollte sich auf die typische Symptomatik und eine individuelle, problemorientierte Diagnostik stützen.<sup>1</sup></p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>FODMAPs sind kurzkettige, schwer resorbierbare Kohlenhydrate mit gastrointestinaler Wirkung. Durch ihren endoluminalen osmotischen Effekt, erhöhte Gasproduktion und dadurch intestinale Distension verschlechtern sie Symptome wie Blähungen und abdominelle Schmerzen bei RDS-Patienten.</li> <li>Positive Studienresultate zur Wirksamkeit einer FODMAP-Diät bei RDS sind kritisch zu bewerten. Die Auswirkung auf das Darmmilieu und der Langzeiteffekt sind noch nicht ausreichend untersucht.</li> <li>Eine diätetische Beratung (FODMAP-Diät oder konventionelle RDS-Diät) bei motivierten Patienten ist sinnvoll, sollte aber gemeinsam mit einer professionellen Ernährungsberatung erfolgen.</li> </ul> </div> <h2>Einleitung</h2> <p>Die Pathogenese des RDS ist multifaktoriell und wird durch eine Kombination oder komplexe Interaktion verschiedener Faktoren erklärt.<sup>2</sup> Die wichtigsten sind Motilitätsstörungen, eine Störung der gastrointestinalen Sensorik (viszerale Hypersensitivität) und psychosoziale Einflüsse. Verschiedene Motilitätsprobleme können beim Reizdarmsyndrom nachgewiesen werden, z.B. eine beschleunigte oder verzögerte intestinale Transitzeit, ein verstärkter gastrokolischer Reflex oder eine funktionelle Defäkationsstörung mit konsekutiver Obstipation. Die viszerale Hypersensitivität kann sowohl durch eine Herabsetzung der Reizschwelle der sensorischen Innervation des Magen-Darm- Traktes als auch durch eine abnorme Wahrnehmung sensibler viszeraler Stimulationen im zentralen Nervensystem bedingt sein. Viszerale sensible Nerven werden durch eine Vielzahl osmotischer, chemischer und mechanischer endoluminaler Stimuli aktiviert. Experimentelle und klinische Studien konnten mehrere dieser Mechanismen oder Stimuli identifizieren. Diese umfassen eine abnorme mukosale Immunreaktion, ausgelöst durch eine Gastroenteritis (postinfektiöses Reizdarmsyndrom), verschiedene diätetische Komponenten (malabsorbierte Zucker wie Laktose und Fruktose), eine veränderte intestinale Bakterienflora (Dysbiose) sowie endoluminale Substanzen wie kurzkettige Fettsäuren und Gallensalze.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Infekt_1901_Weblinks_a4-abb1.jpg" alt="" width="654" height="462" /></p> <h2>FODMAPs und deren gastrointestinale Effekte</h2> <p>Viele Patienten beschreiben eine Zunahme ihrer Beschwerden nach Genuss bestimmter Nahrungsstoffe wie Fett, rohes Gemüse, Früchte und Milchprodukte. <br />FODMAP steht als Abkürzung für „<strong>F</strong>ermentable <strong>O</strong>ligo-, <strong>D</strong>i-, <strong>M</strong>onosaccharide <strong>A</strong>nd <strong>P</strong>oyols“. Bei den FODMAPs handelt es sich um kurzkettige Kohlenhydratverbindungen, z.B. Fruktose (Monosaccharid), Laktose (Disaccharid), Fruktane (Oligosaccharide) und mehrwertige Alkohole (Polyole; z.B. Sorbit). <br />FODMAPs werden im Dünndarm nur schlecht resorbiert und führen als osmotisch wirksame Substanzen zu einem intraluminalen Wassereinstrom und damit zu einer luminalen Distension. Schließlich werden die nicht resorbierten FODMAPs im Kolon durch die mikrobielle Flora verstoffwechselt, wodurch kurzkettige Fettsäuren, Hydrogen und Methan entstehen. Neben einer vermehrten intestinalen Gasbildung kann die Kolonmotilität indirekt auch durch Fettsäuren beeinflusst werden. Bei Patienten mit viszeraler Hypersensitivität können durch diese intraluminalen Stimuli Reizdarmsymptome induziert oder verstärkt werden.</p> <h2>Konzept und Auswirkungen der FODMAP-Diät</h2> <p>Eine FODMAP-arme Diät (meist abgekürzt als FODMAP-Diät bezeichnet) sollte unter professioneller Leitung im Rahmen einer Ernährungsberatung durchgeführt werden und umfasst drei Phasen: eine 1. Phase der FODMAP-Restriktion über 4 bis 8 Wochen, eine 2. Phase der FODMAPWiedereinführung über 6 bis 10 Wochen und eine 3. Phase der individuellen Anpassung (Personalisation). <br />Als Hilfsmittel werden dem Patienten Nahrungsmittellisten ausgehändigt, die die Auswahl der gewünschten Nahrungsmittel erleichtern. Zusätzlich stehen Smartphone-Applikationen oder webbasierte Tabellen zur Verfügung. Ziel der Ernährungsberatung ist, eine ausgewogene Ernährung sicherzustellen. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die FODMAPDiät den Genuss vieler komplexer Kohlenhydrate und Ballaststoffe einschränkt, die für die Funktion des Darmes als wichtig erachtet werden. Unter Studienbedingungen war bei einem Teil der Studienpatienten im Verlauf der Diät auch eine Gewichtsreduktion zu verzeichnen. <br />Die Langzeitfolgen einer strikten FODMAP- armen Diät sind bisher unbekannt. Aufgrund neuerer Studien ist zu vermuten, dass eine Veränderung der Darmflora mit unklaren Folgeerscheinungen auftreten könnte. <br />Diäten mit unterschiedlichem FODMAPGehalt können die bakterielle Zusammensetzung des Stuhles verändern.<sup>3</sup> Durch die FODMAP-Diät wurde eine Reduktion der bakteriellen Vielfalt nachgewiesen. Dabei war aber kein Effekt auf die Vielfalt von Bakterien mit vermeintlich positivem Einfluss im Kolonmilieu zu verzeichnen. Eine FODMAP-reiche Diät stimulierte dagegen spezifische Bakteriengruppen mit vermutetem Benefit für die Gesundheit.<sup>3</sup></p> <h2>Evidenz pro FODMAP-Diät</h2> <p>Mehrere wissenschaftliche Studien konnten zeigen, dass eine FODMAP-Diät zur signifikanten Verbesserung von Reizdarmsymptomen führen kann. In einer prospektiven Crossover-Studie behandelte eine australische Forschergruppe 30 RDSPatienten und acht gesunde Probanden als Kontrollgruppe über je drei Wochen mit einer typischen australischen Diät oder einer FODMAP-armen Diät. Die FODMAParme Diät verringerte sowohl bei Reizdarmpatienten mit Diarrhö als dominantem Symptom als auch bei Reizdarmpatienten mit Obstipation als dominantem Symptom signifikant Blähungen, Flatulenzen und abdominelle Schmerzen. Bei gesunden Kontrollpersonen konnte dagegen kein unterschiedlicher Effekt der Kostformen auf gastrointestinale Symptome beobachtet werden.<sup>4</sup> <br />In einer kürzlich publizierten Metaanalyse wurden neun Studien zur FODMAPDiät systematisch hinsichtlich Patientencharakteristika, Auswahl der Kontrollgruppen, Interventionsdauer und -design sowie Studienendpunkte verglichen. Diese Metaanalyse weist zusammenfassend einen positiven Effekt der FODMAP-Diät mit Reduktion gastrointestinaler Beschwerden und Verbesserung der Lebensqualität auf. Allerdings diskutieren die Autoren auch, dass der Langzeiteffekt einer FODMAP-armen Diät und deren Wirksamkeit im Vergleich zu anderen Therapien unbekannt bleiben.<sup>5</sup></p> <h2>Evidenz kontra FODMAP-Diät</h2> <p>Obwohl die FODMAP-Diät bereits zu einem festen Bestandteil in der Behandlung des Reizdarmsyndroms geworden ist, wird zunehmend Kritik an diesem Therapiekonzept publiziert. <br />Eine Multicenterstudie mit 76 RDSPatienten konnte keinen signifikanten Unterschied zwischen einer Behandlung mit einer FODMAP-armen Diät und einer konventionellen RDS-Diät aufzeigen. Mit beiden Diätformen konnten Reizdarmsymptome gleichermaßen verbessert werden.<sup>6</sup> <br />Ein aktueller systematischer Review zur Qualität von Studien mit FODMAParmer Diät weist auf mehrere Fehler im Studiendesign und bei der Studienmethodik sowie auf eine Missinterpretation der Daten hin. Diese Analyse umfasst neun randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 542 Patienten. Kritisiert wird z.B. die Patientenselektion vorwiegend aus spezialisierten Kliniken, die eine Übertragbarkeit der Studienergebnisse in den Praxisalltag erschwert. Auch sei die korrekte Verblindung der Studienteilnehmer in vielen Studien nicht gewährleistet (ca. 80 % der Studienteilnehmer konnten die Art der Diät identifizieren). Zudem werden in keiner Studie die Wiedereinführungsphase der FODMAP-Diät oder der Langzeiteffekt der Diät untersucht.<sup>7</sup> Die Autoren einer weiteren, ähnlichen Metaanalyse schlussfolgern, dass aufgrund der eingeschränkten Qualität der Studien die Evidenz für die Wirksamkeit einer FODMAP- armen Diät gering ist.<sup>8</sup></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Lacy BE et al.: Bowel disorders. Gastroenterology 2016; 150: 1393-407 <strong>2</strong> Camilleri M: Peripheral mechanisms in irritable bowel syndrome. NEJM 2012; 367: 1626-35 <strong>3</strong> Halmos EP et al.: Diets that differ in their FODMAP content alter the colonic luminal microenvironment. Gut 2015; 64: 93-100 <strong>4</strong> Halmos EP et al.: A diet low in FODMAPs reduces symptoms of irritable bowel syndrome. Gastroenterology 2014; 146: 67-75 <strong>5</strong> Schumann D et al.: Low fermentable, oligo-, di-, mono-saccharides and polyol diet in the treatment of irritable bowel syndrome: a systematic review and metaanalysis. Nutrition 2018; 45: 24-31 <strong>6</strong> Böhn L et al.: Diet low in FODMAPs reduces symptoms of irritable bowel syndrome as well as traditional dietary advice: a randomized controlled trial. Gastroenterology 2015; 149: 1399-407 <strong>7</strong> Krogsgaard LR et al.: Systematic review: quality of trials on the symptomatic effects of the low FODMAP diet for irritable bowel syndrome. Aliment Pharmacol Ther 2017; 45: 1506-13 <strong>8</strong> Dionne J et al.: A systematic review and meta-analysis evaluating the efficacy of a gluten-free diet and a low FODMAPs Diet in treating symptoms of irritable bowel syndrome. Am J Gastroenterol 2018; 113: 1290-9</p>
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