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Langzeitfolgen von parenteraler Ernährung

<p class="article-intro">Parenterale Ernährung bei vorübergehender Einschränkung der Nahrungsaufnahme ist heutzutage im klinischen Alltag Routine geworden. Nur wenige Patienten benötigen langfristig eine totale parenterale Ernährung (TPE), wenn Krankheiten des Verdauungstraktes eine enterale Ernährung unmöglich machen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Patienten, die &uuml;ber lange Zeit &shy;parenteral ern&auml;hrt werden, sind permanent von einer Kathetersepsis bedroht. Steriles Arbeiten beim Beutelwechsel und eine &shy;ad&auml;quate Pflege des Kathetersystems sollten daher selbst&shy;verst&auml;ndlich sein.</li> <li>F&uuml;r eine optimale Betreuung von TPE-Patienten ist ein interdizi&shy;plin&auml;res professionelles Team notwendig, welches Zusammensetzung der Nahrung, Applikation und regelm&auml;&szlig;iges Monitoring (klinisch, &shy;laborchemisch) &shy;koordiniert.</li> <li>Unter Langzeit-TPE ist ein regelm&auml;&szlig;iges und strukturiertes Monitoring notwendig, um fr&uuml;hzeitige Korrekturen der TPE vorzunehmen zu k&ouml;nnen und Komplikationen zu verhindern bzw. fr&uuml;hzeitig zu erkennen.</li> </ul> </div> <p>Typische Krankheiten, die zur langfristigen totalen parenteralen Ern&auml;hrung (TPE) f&uuml;hren, sind komplizierte Verl&auml;ufe eines Morbus Crohn (MC) mit enterokutanen Fisteln oder therapierefrakt&auml;rem chronisch-aktivem Verlauf und das Kurzdarmsyndrom nach extensiver Darmresektion (ebenfalls im Rahmen eines MC, durch Mesenterialisch&auml;mie, bei Kindern nach einer nekrotisierenden Enterokolitis im Neugeborenenalter oder im Rahmen von anderen komplikativ verlaufenden Darmresektionen). Bei diesen Patienten ist eine besonders sorgf&auml;ltige &Uuml;berwachung notwendig, um Komplikationen zu verhindern bzw. erste Anzeichen von solchen rechtzeitig zu erkennen. Wesentliche Komplikationen bei langfristiger TPE betreffen Gef&auml;&szlig;zug&auml;nge, die metabolische Dysbalance und die daraus folgenden Organsch&auml;digungen.<sup>1</sup></p> <h2>Katheter-assoziierte Komplikationen</h2> <p>F&uuml;r eine Langzeit-TPE ist ein zentralven&ouml;ses Kathetersystem bzw. ein Portsystem f&uuml;r die Infusion notwendig. Eine der h&auml;ufigsten Komplikationen im Rahmen einer TPE sind thrombotische und infekti&ouml;se Ereignisse. Aus einer Metaanalyse ist bekannt, dass 0,34 Episoden einer Kathetersepsis pro Katheter und Jahr zu erwarten sind (das bedeutet f&uuml;r einen Patienten mit TPE &uuml;ber 3 Jahre statistisch eine 100 % ige Wahrscheinlichkeit f&uuml;r eine Kathetersepsis).<sup>1, 2</sup> Die zweith&auml;ufigste Komplikation ist der thrombotische Katheterverschluss (0,071 Episoden pro Katheter und Jahr),<sup>1, 2</sup> am seltensten kommt es zu einer zentralven&ouml;sen Thrombose (0,027 Episoden pro Katheter und Jahr).<sup>1, 2</sup> Aus diesen Zahlen ergibt sich auch die notwendige Konsequenz: die sorgf&auml;ltige Pflege des Kathetersystems unter strenger Einhaltung hygienischer Prinzipien. Prinzipiell ist f&uuml;r die langfristige TPE ein einlumiger Broviac-Katheter am g&uuml;nstigsten,<sup>3</sup> da hierbei eine laminare Str&ouml;mung herrscht und er kein Reservoir wie die Portsysteme besitzt. Sollte ein Portsystem verwendet werden, ist ein Nadelwechsel alle 3&ndash;7 Tage empfohlen (im Gegensatz zur reinen Applikation von Medikamenten, wo ein 14-t&auml;glicher Nadelwechsel ausreicht). Zur Prophylaxe eines Katheterverschlusses wird die Sp&uuml;lung mit isotoner NaCl-L&ouml;sung (nicht Heparin) empfohlen. Ein antiseptischer Taurolidin-Block ist nach derzeitiger Datenlage nicht der Standard, kann aber bei Problempatienten erwogen werden.<sup>4, 5</sup></p> <p>Eine Selbstverst&auml;ndlichkeit sollte die Einweisung in steriles Arbeiten f&uuml;r alle am Beutelwechsel beteiligten Personen sein. Die Verwendung von Dreikammerbeuteln ist mit einer geringeren Infektionsrate im Vergleich zum fr&uuml;heren Zusammenmischen von Einzeln&auml;hrstoffl&ouml;sungen assoziiert.<sup>5</sup></p> <h2>Mangelern&auml;hrung und metabolische Dysbalancen</h2> <p>Grunds&auml;tzlich m&uuml;ssen bei einer langfristigen TPE der Energiebedarf und der Bedarf an einzelnen Nahrungsbestandteilen (Proteine, Kohlehydrate, Fette) ausreichend gedeckt werden, damit es nicht zu Unterern&auml;hrung kommt. Damit die TPE-Menge an das aktuelle Gewicht (bzw. Zielgewicht), den Proteinbedarf, den Energiebedarf unter Ber&uuml;cksichtigung von k&ouml;rperlicher Bet&auml;tigung oder Wachstum bei Kindern angepasst werden kann, sollte der Bedarf regelm&auml;&szlig;ig berechnet werden.<sup>5</sup> Hier helfen Kalkulatorprogramme wie z.B. der Online-Rechner unter www.globalrph.com/tpn.htm.</p> <p>Gerade bei langfristiger TPE ist eine strenge Kontrolle von Blutzuckerspiegel, Triglyzeriden und Elektrolyten essenziell, da es sonst rasch vor allem zu hepatischen Komplikationen kommt. Die &uuml;bliche Glukosezufuhr sollte 2&ndash;4g/kg K&ouml;rpergewicht nicht &uuml;bersteigen. Hyperglyk&auml;mien (Blutzucker &gt;180mg/dl) sollten unbedingt verhindert werden. Hier helfen regelm&auml;&szlig;ige Blutzuckerkontrollen unter laufender Infusion und die Verwendung von Pumpen, die eine kontrollierte Infusionsrate erlauben. Blutfette (0,8&ndash;1,5g/kg K&ouml;rpergewicht) sollten ebenfalls unter laufender Infusion kontrolliert werden. Der Triglyzeridwert sollte nicht &uuml;ber 265mg/dl liegen, sonst muss die Laufrate oder die Fettzufuhr reduziert werden.<sup>5</sup></p> <p>Die Elektrolyte sind regelm&auml;&szlig;ig zu kontrollieren, wobei im Allgemeinen die Zufuhr in den &uuml;blichen Dreikammerbeuteln unkompliziert ist, sofern sich der Patient hinsichtlich seiner Ern&auml;hrung in einem stabilen Zustand befindet. Als Alternative kommt ein &bdquo;individual compounding&ldquo; zum Einsatz, bei dem die Zusammensetzung der Mischbeutel an die individuellen Bed&uuml;rfnisse des Patienten angepasst wird. Dies ist z.B. bei Kurzdarmpatienten mit hohen intestinalen Elektrolytverlusten, bei Patienten mit gleichzeitiger dialysepflichtiger Niereninsuffizienz und Fl&uuml;ssigkeitsrestriktion oder mit Patienten mit schwerer Lebersch&auml;digung notwendig.</p> <p>Um Vitaminmangelzust&auml;nde zu verhindern, ist die t&auml;gliche Zugabe einer Mischung aus fett- und wasserl&ouml;slichen Vitaminen sowie Spurenelementen wichtig. Hierbei ist zu bedenken, dass die meisten kommerziell erh&auml;ltlichen Vitaminfertig&shy;mischungen kein Vitamin K enthalten, sodass dieses monatlich zus&auml;tzlich verabreicht werden muss.</p> <p>Sehr gute und praxisnahe Leitlinien f&uuml;r die TPE und das Labor-Monitoring sind von der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Ern&auml;hrungsmedizin (DGEM)<sup>4, 5</sup> herausgegeben worden (abrufbar unter: <a href="http://www.dgem.de)">www.dgem.de)</a>.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Infekt_1802_Weblinks__s36.jpg" alt="" width="1458" height="1706" /></p> <h2>Organsch&auml;digungen</h2> <p><strong><strong>Gallenblase</strong></strong></p> <p>Auch unter Kontrolle aller oben genannten metabolischen Einzelparameter kann es bei Langzeit-TPE zu Organsch&auml;digungen kommen. Fast alle TPE-Patienten entwickeln Gallenblasen-Sludge/Gallensteine.<sup>6</sup> Hier wirkt eine zumindest teilweise orale Ern&auml;hrung, die auch Fett enth&auml;lt, prophylaktisch, da die Gallenblase sich dabei kontrahiert und entleert. Auch eine Gabe von Ursodeoxychols&auml;ure kann erwogen werden.<sup>7</sup></p> <p><strong><strong>Leber</strong></strong></p> <p>Etwas seltener, daf&uuml;r allerdings bedrohlicher sind Leberkomplikationen. Die mildeste Form ist ein vor&uuml;bergehender Anstieg von Transaminasen nach Einf&uuml;hrung der TPE. In ung&uuml;nstiger verlaufenden F&auml;llen kommt es zu einer progredienten Lebererkrankung bis hin zur Leberzirrhose und zum Leberversagen.<sup>8</sup> W&auml;hrend es bei S&auml;uglingen am h&auml;ufigsten zum cholestatischen Verlauf der TPE-assoziierten Lebererkrankung (&bdquo;parenteral nutrition-associated liver disease&ldquo;, PNALD) kommt, sind bei Kindern und Erwachsenen in erster Linie steatohepatitische Verl&auml;ufe dokumentiert. Die Genese der Erkrankung ist multifaktoriell: Die Zusammensetzung der TPE spielt eine Rolle, insbesondere zu viel Soja&ouml;l, welches hohe Anteile an Omega-6-Fetts&auml;uren sowie Phytosterole enth&auml;lt, und ein Mangel an Cholin und antioxidativ wirkenden Substanzen (insbesondere Alpha-Tocopherol) scheinen relevant zu sein.<sup>9</sup> Daneben spielen bakterielle Infekte eine Rolle, und zwar sowohl systemisch durch die Gefahr einer Kathetersepsis als auch intestinal durch bakterielle D&uuml;nndarm&uuml;berwucherung. Auch ein verminderter Gallens&auml;urepool und m&ouml;glicherweise zu hohe Manganspiegel spielen eine Rolle. Als besonders empfindlich in Bezug auf eine PNALD gelten Neugeborene und Kleinkinder sowie Patienten, die &uuml;berhaupt keine enterale Ern&auml;hrung zu sich nehmen.<sup>10</sup> Bei gr&ouml;&szlig;eren Kindern und Erwachsenen ist auch ein &Uuml;berangebot an intraven&ouml;sen Fetten und Glukose einer der Trigger f&uuml;r die Entwicklung einer PNALD.<sup>5</sup> Insgesamt ist der wichtigste Faktor zur Verhinderung einer irreversiblen Lebersch&auml;digung unter TPE die Wachsamkeit bez&uuml;glich steigender Leberwerte mit Anpassung der TPE-Zusammensetzung, konsequenter antibiotischer Therapie intestinal und/oder systemisch und der Gabe von Ursodeoxychols&auml;ure (ein gutes Review zur PNALD geben Buchman et al. 2006<sup>11</sup>). Als Vorbeugung ist eine Maximierung der enteralen Ern&auml;hrung notwendig. Hier sollte eine operative Wiederherstellung der intestinalen Kontinuit&auml;t geplant bzw. nach Ausschluss von Kontraindikationen die Gabe von GLP-2-Analoga erwogen werden.<sup>12, 13</sup> Bei Progression der Lebersch&auml;digung ist rechtzeitig eine D&uuml;nndarmtransplantation zu erw&auml;gen. Als Ulti&shy;ma Ratio &ndash; allerdings verbunden mit hoher Mortalit&auml;t &ndash; ist eine kombinierte D&uuml;nndarm-Leber-Transplantation m&ouml;glich.<sup>7</sup></p> <p><strong><strong>Knochen</strong></strong></p> <p>Patienten unter TPE haben ein deutlich erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r Osteomalazie und Osteoporose (&gt;40 % der TPE-Patienten haben eine Osteoporose).<sup>14</sup> Dies ist vermutlich Ausdruck eines nicht optimalen Kalzium-Phosphat-Vitamin-D-Stoffwechsels kombiniert mit geringer k&ouml;rperlicher Bet&auml;tigung. Hier sind eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung sowie die Knochendichtemessung und anschlie&szlig;end Therapie entsprechend den Osteoporoseleitlinien indiziert.<sup>4, 5</sup></p> <h2>Kosten</h2> <p>Eine Langzeit-TPE ist nicht nur komplikationstr&auml;chtig, sondern auch kostenintensiv. Rezente Daten aus Belgien zeigen, dass im Langzeitverlauf der Kostenfaktor der TPE den Kostenfaktor der zugrunde liegenden Erkrankung der Patienten bei Weitem &uuml;bersteigt (Abb.).<sup>15</sup> Neben den gesundheitlich relevanten Gr&uuml;nden f&uuml;r die Optimierung einer enteralen Ern&auml;hrung sollten auch die Kosten einer Langzeit-TPE im Auge behalten werden.</p> <h2>Fazit</h2> <p>Die Langzeit-TPE erm&ouml;glicht vielen Patienten mit intestinalem Versagen ein &Uuml;berleben. Gleichzeitig sind multiple Komplikationen unter TPE m&ouml;glich. Am wichtigsten sind daher zwei Dinge:</p> <p>1. die Versorgung durch ein professionelles interdisziplin&auml;res Netzwerk, mit dem Ziel, den Ern&auml;hrungszustand des Patienten zu optimieren und nutritive wie vaskul&auml;re/septische Komplikationen zu vermeiden.</p> <p>2. jede M&ouml;glichkeit der F&ouml;rderung einer enteralen Ern&auml;hrung zur Verminderung von hepatischen Komplikationen der TPE. Hier sollte bei vorhandenem Colon unbedingt eine operative Wiederherstellung der intestinalen Kontinuit&auml;t angestrebt werden. Au&szlig;erdem sollten medikament&ouml;se M&ouml;glichkeiten (GLP-2-Analoga) und als Ultima Ratio eine D&uuml;nndarmtransplantation erwogen werden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Howard L, Ashley C: Gastroenterol 2003; 124: 1651-61 <strong>2</strong> Richards DM et al.: Health Technol Assess 1997; 1(1): i-iii, 1-59 <strong>3</strong> Santarpia L et al.: Clin Nutr 2002; 21(3): 207-11 <strong>4</strong> Lamprecht G et al.: S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Ern&auml;hrungsmedizin e.V. in Zusammenarbeit mit der AKE, der GESKES und der DGVS. Klinische Ern&auml;hrung in der Gastroenterologie (Teil 3) &ndash; chronisches Darmversagen. Aktuel Ern&auml;hrungsmed 2014; 39: e57-e71 <strong>5</strong> Bischoff SC et al.: S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Ern&auml;hrungsmedizin (DGEM) in Zusammenarbeit mit der GESKES und der AKE. K&uuml;nstliche Ern&auml;hrung im ambulanten Bereich. Aktuel Ern&auml;hrungsmed 2013; 38: e101-e154 <strong>6</strong> Manji N et al.: J Parenter Enteral Nutr 1989; 13(5): 461-4 <strong>7 </strong>Payne-James J et al.: Artificial Nutrition and Support in Clinical Practice. Zweite Auflage 2012. 818 Seiten. Cambridge University Press. ISBN: 97811076096555 <strong>8 </strong>Mitra A, Ahn J: Liver disease in patients on total parenteral nutrition. Clin Liver Dis 2017; 21(4): 687-95 <strong>9 </strong>Nandivada P et al.: Treatment of parenteral nutrition-associated liver disease: the role of lipid emulsions. Adv Nutr 2013; 4(6): 711-7 <strong>10 </strong>Orso G et al.: Pediatric parenteral nutrition-associated liver disease and cholestasis: novel advances in pathomechanisms-based prevention and treatment. Dig Liver Dis 2016; 48(3): 215-22 <strong>11</strong> Buchman AL: Hepatology 2006; 43: 9-19 <strong>12</strong> Jeppesen PB et al.: Gut 2005; 54(9): 1224-31 <strong>13</strong> Jeppesen PB et al.: Gut 2011; 60(7): 902-14 <strong>14</strong> Cohen-Solal M et al.: J Bone Miner Res 2003; 18: 1989-94 <strong>15</strong> Canovai E et al.: Transplantation 2017; 101: s6-2</p> </div> </p>
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