
«Die Bezeichnung ‹Immunisierung› statt ‹Impfung› kann hilfreich sein»
Unsere Gesprächspartnerin:
PD Dr. med. Ladina Vonzun
Leitende Ärztin
Klinik für Geburtshilfe
Universitätsspital Zürich
Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF)
E-Mail: ladina.vonzun@usz.ch
Das Interview führte Dr. med. Lydia Unger-Hunt
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Infektionen mit dem respiratorischen Synzytialvirus (RSV) gehören im Winterhalbjahr zu den häufigsten Ursachen für stationäre Aufnahmen von Neugeborenen und Säuglingen. Seit dem Herbst 2024 gibt es in der Schweiz nun eine aktive und passive Immunisierungsmöglichkeit gegen RSV: Das Universitätsspital Zürich hat ein interdisziplinäres Konzept entwickelt, um eine möglichst hohe Abdeckungsrate zu erreichen und die perinatale Versorgung nachhaltig zu verbessern, erklärt PD Dr. med. Ladina Vonzun im Gespräch.
Frau Priv.-Doz. Dr. Vonzun, welche Bedeutung hat die Prävention von RSV-Infektionen im Kontext der perinatalen Gesundheitsversorgung?
L. Vonzun: Im Winterhalbjahr sind RSV-Infektionen eine der häufigsten Ursachen für Spitaleinweisungen bei Neugeborenen und Säuglingen. Dass unsere Kleinsten besonders oft schwer betroffen sind, erklärt sich durch die noch engen Atemwege: Bereits eine leichte Schwellung der Bronchiolen kann zu Atemnot und darauf folgend auch zu Schwierigkeiten bei der Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme führen. In der Schweiz lag laut Bundesamt für Statistik die Zahl der Hospitalisationen von Kindern zwischen null und elf Monaten aufgrund von RSV von 2016 bis 2022 bei zwischen 2000 und 4000 pro Jahr – die Ausnahme war das Pandemiejahr 2020 mit «nur» 1300 Spitaleinweisungen. Der Prävention dieser Infektionen kommt daher naturgemäss eine sehr grosse Bedeutung zu.
Welche Möglichkeiten zur Immunisierung gibt es derzeit?
L. Vonzun: In der Schweiz gibt es derzeit zwei Möglichkeiten: Die eine ist die passive Immunisierung für Neugeborene mit dem monoklonalen Antikörper Nirsevimab (Beyfortus®). Die Antikörper (IgG) werden direkt postnatal verabreicht und das Neugeborene erhält somit für die ersten Lebensmonate quasi einen «fixfertigen» Schutz gegen RSV. Die andere Möglichkeit ist die maternale Impfung mit dem Impfstoff Abrysvo® – ebenfalls mit dem Ziel der passiven Immunisierung des Neugeborenen: Die werdende Mutter bildet als Immunreaktion Antikörper (IgG), welche die Plazenta passieren und damit das Neugeborene in den ersten Lebensmonaten gegen RSV schützen. Dies ist der sogenannte Nestschutz.
Was können Sie zu den Vor- und Nachteilen von aktiver und passiver Immunisierung sagen?
L. Vonzun: Die Vorteile der passiven Immunisierung des Neugeborenen durch einen monoklonalen Antikörper liegen auf der Hand: Mit der Verabreichung ist das Neugeborene umgehend und idealerweise bereits vor der Entlassung von der Wochenbettstation geschützt. Die Wirkungsdauer von Nirsevimab deckt gut eine RSV-Saison ab, und es wurde gezeigt, dass die Hospitalisationen aufgrund eines schweren Krankheitsverlaufs um rund 80% abnehmen. Als Nachteil könnte man vielleicht sagen, dass das Kind gestochen werden muss. Erfolgt die Immunisierung nicht direkt im Krankenhaus, sondern erst im Verlauf in der Kinderarztpraxis, gibt es ein Zeitintervall, in dem das Neugeborene ungeschützt ist. Das ist natürlich nicht ideal und sollte möglichst vermieden werden. Ausserdem ist Nirsevimab sowohl im stationären als auch im ambulanten Setting von der obligatorischen Krankenkasse (KVG) gedeckt.
Bei der maternalen RSV-Impfung ist ein Vorteil, dass das Kind nicht gestochen werden muss. Die Impfung ist nebenwirkungsarm und weist ebenfalls einen guten Wirkungsgrad auf. Real-World-Daten aus Argentinien zeigten eine Reduktion der Zahl von Hospitalisationen wegen schwerer RSV-Verläufe von 74%. Der Nestschutz hält bis zu sechs Monate, auch hiermit ist die RSV-Saison somit gut abgedeckt. Deutlich schwieriger ist es aber, den richtigen Verabreichungszeitpunkt zu treffen: Dieser sollte mindestens zwei Wochen vor der Geburt sein, entsprechend ist die Empfehlung, die Impfung zwischen der 32. und 36. Schwangerschaftswoche durchzuführen. Wird später geimpft, ist der IgG-Peak unzureichend, um das Neugeborene zu schützen. In solchen Fällen ist daher zusätzlich die passive Immunisierung empfohlen.
Abrysvo® ist zwar seit dem Herbst 2024 von Swissmedic zugelassen, die Kostendeckung durch die KVG ist aktuell aber noch nicht geklärt. Dies gilt es mit den Schwangeren zu besprechen, zumal es nicht allen möglich ist, die Kosten selbst zu übernehmen. Aktuell würde ich das auch als grössten Nachteil der maternalen RSV-Impfung bezeichnen.
Wie sieht es eigentlich mit der Akzeptanz der RSV-Impfung aus?
L. Vonzun: Die Akzeptanz der RSV-Immunisierung ist unserer Erfahrung nach gut bis sogar sehr gut. Seit Implementierung der RSV-Immunisierung wurden bei uns am USZ rund 80% der Neugeborenen vor Entlassung immunisiert.
RSV-Infektionen sind – oder hoffentlich waren – so häufig, dass die meisten Menschen schwere Verläufe entweder aus dem Freundes- oder Familienkreis kennen oder sogar selbst miterlebt haben. Für Frauen, die sich in der Schwangerschaft nicht impfen lassen möchten, steht mit der passiven Immunisierung des Kindes eine valable Alternative bereit. In manchen Situationen erlebe ich schon allein die korrekte Bezeichnung «Immunisierung» statt «Impfung» als hilfreich.
Am USZ wurde in Zusammenarbeit zwischen den Kliniken für Geburtshilfe und Neonatologie ein RSV-Immunisierungskonzept ausgearbeitet. Würden Sie dieses Konzept näher erläutern?
L. Vonzun: Wir haben uns im letzten Herbst intensiv damit auseinandergesetzt, wie wir möglichst viele der werdenden Eltern erreichen und ein entsprechendes Immunisierungsprogramm möglichst effizient gestalten können. Dabei ist ein «interdisziplinäres Konzept» entstanden. Dies klingt zunächst vielleicht exklusiv und ist es auch, aber grundlegend geht es vor allem darum, dass schwangere Frauen von verschiedenen Fachleuten und Disziplinen zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Schwangerschaft und im Wochenbett über die Möglichkeit der Immunisierung gegen RSV informiert werden. Zudem erhalten alle Frauen, die bei uns gebären, schriftliches Informationsmaterial per Post und auf unserer App. Letztlich muss der Kinderarzt oder die Kinderärztin bei der Austrittsuntersuchung nur noch letzte Fragen klären. Nebenbei wird so auch der zeitliche Aufwand auf mehrere Schultern verteilt.
Welche Herausforderungen sehen Sie generell bei der Integration von RSV-Immunisierungsprogrammen in die Schwangerschaftsvorsorge?
L. Vonzun: Wie bei allen Präventionsmassnahmen ist es eine Herausforderung, die Zeit und den richtigen Zeitpunkt im ohnehin schon engen Terminkalender der Schwangerschaftskontrollen zu finden. Wir möchten die Frauen nicht mit Informationen überhäufen oder überfordern, gleichzeitig ist es aber auch klar unsere Pflicht, Prävention zu betreiben und entsprechend Zeit zu investieren. Ich denke, dass sich die Aufklärung über die Möglichkeiten der RSV-Immunisierung gut in die Beratung über andere Impfungen in der Schwangerschaft, wie jene gegen Keuchhusten, Influenza und Covid, einreihen lässt. Dieses Jahr ist alles noch neu und gewisse Fragen wie die der Kostenübernahme von Abrysvo® sind noch offen. Für die Saison 2025/26 sollte dies aber hoffentlich geklärt sein. Der Vorteil der RSV-Immunisierung wird sein, dass wir zwei Optionen anbieten und so hoffentlich mehr werdende Eltern ansprechen können.
Inwiefern könnten diese Programme langfristig die perinatale Gesundheitsversorgung verändern oder verbessern?
L. Vonzun: Interdisziplinarität ist ein wichtiger Grundstein in der Betreuung unserer Frauen, der meiner Meinung nach auch massgebend zur Akzeptanz von Präventionsmassnahmen wie Immunisierungen beitragen kann. Konkret zur RSV-Immunisierung berichten die Kinderspitäler bereits jetzt von deutlich weniger Konsultationen und geringeren Hospitalisationszahlen aufgrund von RSV-Infekten, im Vergleich zu den Vorjahren. Wenn diese Programme in Zukunft zu weniger Überlastung der Kindernotfall- und Intensivstationen führen und das elektive Programm in den Wintermonaten nicht mehr reduziert werden muss, liegen die langfristigen Vorteile für die Gesundheitsversorgung klar auf der Hand.
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