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Das Tarsaltunnelsyndrom – eine diagnostische und therapeutische Herausforderung

Das Tarsaltunnelsyndrom ist als Kompressionssyndrom des Nervus tibialis oder eines seiner Äste im Tarsaltunnel definiert. Dieses selten auftretende Nervenengpasssyndrom führt zu typischen Beschwerden im Bereich des Sprunggelenks und der Fußsohle. Aufgrund der limitierten Evidenz bezüglich der Inzidenz der Erkrankung, der Diagnose und des Behandlungsalgorithmus stellt die Auswahl der richtigen Therapie eine Herausforderung für die Behandlung dar.1

Keypoints

  • Die Diagnosestellung erfolgt durch Anamnese, klinische Untersuchung und apparative Diagnostik.

  • Die Therapie sollte primär konservativ erfolgen.

  • Bei therapieresistenten Beschwerden, Vorliegen einer Raumforderung in der Bildgebung und positiver elektrophysiologischer Diagnostik sind bei rechtzeitiger operativer Nervendekompression gute klinische Ergebnisse zu erwarten.

  • Für die Zukunft sind randomisierte klinische Studien zur Festlegung eines diagnostischen und therapeutischen Algorithmus notwendig.

Anatomische Grundlagen

Der Tarsaltunnel ist ein osteofibröser Tunnel, der sich von der Innenknöchelregion bis zur Fußmitte hin erstreckt. Die laterale Begrenzung bilden der Innenknöchel, das Sustentaculum tali sowie die mediale Kalkaneuswand. Medialseitig wird der Kanal vom Retinaculum flexorum gebildet. Im Tarsaltunnel verlaufen nachfolgend folgende Strukturen: die Sehnen der Musculi tibialis posterior, flexor digitorum und flexor hallucis longus, die Arteria und Vena tibialis sowie der Nervus tibialis. Im Gegensatz zum Karpaltunnel werden diese Strukturen durch ein Septum voneinander getrennt.2 Der Nervus tibialis ist ein Ast des Nervus ischiadicus. Er verläuft im tiefen Flexorenkompartiment der Wade bis zum Innenknöchel und teilt sich dann im Tarsaltunnel in seine drei Äste auf: den plantaren medialen, den plantaren lateralen und den kalkanearen Ast. Diese drei peripheren Äste versorgen die plantare Fußregion mit autonomen, sensiblen und motorischen Nervenfasern.2 Der Nerv kann dabei in seinem gesamten Verlauf im Tarsaltunnel und danach im Bereich der Faszie des M.abductor hallucis komprimiert werden. Je nach Ort und Höhe kann diese Kompression eine Vielzahl an unterschiedlichen Symptomen hervorrufen.

Ätiologie

Als Auslöser werden intrinsische Faktoren (raumfordernde Prozesse innerhalb des Kanals, wie z.B. Schwannome, Tendinitiden, Gefäßkonvolute etc.) und extrinsische Faktoren (Kompression durch ein Trauma, eine Fußfehlstellung oder als Überlastungsfolge bei Marathonläufern) unterschieden. Etwa 20% der Fälle sind idiopathisch.3

Symptome und klinische Untersuchung

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Abb. 1: T2-gewichtete MRT-Aufnahme des Fußes: raumforderndes septiertes Ganglion (Pfeil) im Tarsaltunnel mit Kompression des Gefäßnervenbündels (Stern)

Patienten mit Tarsaltunnelsyndrom klagen typischerweise über eine Parästhesie, Hyperästhesie oder Dysästhesien im Bereich des Innenknöchels mit Ausstrahlung zur Ferse, zur Fußsohle oder zu den Zehen. Die Beschwerden sind typischerweise einseitig und nehmen bei Belastung des Fußes zu.1 Bei Läufern ist dieses Beschwerdebild als sogenannter „jogger’s foot“ bekannt. In manchen Fällen können die Schmerzen auch nach proximal Richtung Unterschenkel ausstrahlen. In der klinischen Untersuchung lässt sich bei den betroffenen Patienten das Hoffmann-Tinel-Zeichen bei Perkussion des Nerven auslösen. Es kommt hierbei zu einer Schmerzausstrahlung entlang des Nervenverlaufs nach distal. Analog dem Phalentest des Karpaltunnelsyndroms lassen sich diese Symptome beim sogenannten Dorsiflexions-Eversionstest durch maximale Dorsiflexion im Sprunggelenk und Eversion des Fußes verstärken.1 Bei der Inspektion des Fußes ist auf Raumforderungen im Bereich des Innenknöchels, Varus- und Valgusfehlstellungen des Rückfußes sowie auf bereits vorliegende Atrophien der Fußmuskulatur zu achten. Im weiteren Verlauf kommt es durch die progrediente Nervenschädigung zu Paresen der Fußmuskulatur. Dies zeigt sich zunächst in einer Schwäche der Zehenspreizung, später auch in einer Schwäche der kurzen Zehenbeuger. Trophische Störungen wie eine verminderte Schweißsekretion sind ein Spätsymptom.4 Die möglichen Differenzialdiagnosen beinhalten Polyneuropathie, Radikulopathie L5 und S1, Plantarfasziitis, Osteomyelitis, Kalkaneusfrakturen, Gicht und Arthrose.

Apparative Diagnostik

Die Röntgenaufnahme des Sprunggelenks im Stehen in zwei Ebenen ist der Standard zur Beurteilung von Fehlstellungen, Frakturen und eventuell vorliegenden knöchernen Raumforderungen im Bereich des Tarsaltunnels. Die Sonografie ist eine günstige und breit verfügbare Untersuchungstechnik. Mit ihr lassen sich direkte Zeichen der Nervenkompression mit fokaler Vergrößerung der Faszikel und Änderungen der Echogenität gut darstellen.5 Die Magnetresonanztomografie ist der Goldstandard in der weiterführenden Schnittbildgebung zur Beurteilung vorliegender Raumforderungen mit Bedrängung des Nervus tibialis (Abb.1).

Im Rahmen der elektrophysiologischen Untersuchungen wird die sensible Nervenleitgeschwindigkeit gemessen. Eine Amplitudendifferenz von mehr als 50% im Seitenvergleich gilt hierbei als pathognomonisch. Hinweisend auf ein Vorliegen eines Tarsaltunnelsyndroms ist auch ein erhöhter Wert für die distale motorische Latenz, wobei standardisierte Vergleichswerte fehlen. Die Messung der motorischen Nervenleitgeschwindigkeit hat eine geringe Sensitivität und leistet keinen Beitrag. In der Elektromyografie (EMG) zeigen sich Fibrillationen und scharfe Wellen als Ausdruck einer Denervierung. Dies ist jedoch unspezifisch und auch bei Gesunden zu finden.4

Management

Trotz der fehlenden Evidenz gibt es in der Literatur breiten Konsens darüber, dass die Erstbehandlung des Tarsaltunnelsyndroms konservativ erfolgen sollte.

Konservative Therapie

Die möglichen konservativen Therapiemaßnahmen umfassen hierbei die Schuheinlagenversorgung mit Abstützung zur Entlastung des medialen Fußgewölbes, die lokale Infiltration des Nerven mit einem Lokalanästhetikum und einem Steroid, physiotherapeutische Beübung mit Dehnungsübungen für die Waden- und die Fußmuskulatur sowie die medikamentöse Therapie mit NSAR, Opioiden, trizyklischen Antidepressiva und GABA-Analoga.1 Bis dato fehlen jedoch randomisierte klinische Studien, um die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu überprüfen.

Chirurgische Therapie
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Abb. 2: Intraoperativer Situs nach Dekompression des Tarsaltunnels mit Darstellung des Nervus tibialis und seiner drei abgehenden Äste

Bei Versagen der konservativen Therapie, Nachweis einer relevanten Raumforderung in der Bildgebung und positiver elektrophysiologischer Diagnostik ist die chirurgische Therapie indiziert. Es stehen hierbei offene Verfahren und minimal invasive Techniken zur Verfügung. Das Standardverfahren ist die offene Dekompression des Tarsaltunnels mit Darstellung des Nerven inklusive seiner drei Äste, Resektion der Raumforderung, Release des Retinaculum flexorum und Spaltung der tiefen Faszie des M. abductor hallucis (Abb.2).

Um einer chronischen Schädigung des Nerven vorzubeugen, wird bezüglich des Zeitpunktes für die chirurgische Intervention von manchen Autoren eine maximale Symptomdauer von 10 bis 12 Monaten empfohlen.3 Gute chirurgische Ergebnisse können bei kurzer Dauer der Symptome, Vorliegen einer Raumforderung, fehlender Traumaanamnese und bei Patienten, die keine stehenden Tätigkeiten ausüben müssen, erzielt werden. Die Erfolgsrate wird dabei in manchen Studien mit bis zu 90% angegeben.1 Risiken für das Versagen operativer Maßnahmen sind vor allem die falsche Diagnosestellung, ein inkompletter Release des Tunnels und bereits vorliegende Schäden des Nerven durch ein direktes Trauma oder systemische Erkrankungen.

Zusammenfassung

Das Tarsaltunnelsyndrom ist ein komplexes Nervenengpasssyndrom mit unterschiedlichen Ursachen. Die Diagnosestellung erfolgt durch die typische Anamnese sowie mithilfe ergänzender bildgebender und elektrophysiologischer Diagnostik. Die primäre Behandlung sollte dabei konservativ erfolgen. Bei therapieresistenten Beschwerden, dem Vorliegen einer relevanten Raumforderung und positiver elektrophysiologischer Diagnostik ist die Indikation zur operativen Therapie zu stellen. Bei zeitnaher und kompletter chirurgischer Dekompression sind gute bis sehr gute klinische Ergebnisse zu erwarten.

Ich möchte mich bei Herrn Univ.-Doz. Dr. Rainer Biedermann für das Bereitstellen der MRT-Aufnahme des Fußes und bei der radiologischen Abteilung des Sanatoriums Kettenbrücke in Innsbruck für dessen Freigabe sowie bei Herrn Dr. Konstantin Genelin für das Anfertigen der intraoperativen Bilder bedanken.

1 McSweeney SC, Cichero M: Tarsal tunnel syndrome: a narrative literature review. Foot (Edinb.) 2015; 25(4): 244-50 2 DeOliveira Vilaça C et al.: Tarsal tunnel syndrome: a still challenging condition. Rev Bras Neurol 2019; 55(1): 12-7 3 Donneddu PE et al.: Tarsal tunnel syndrome: still more opinions than evidence. Neurol Sci 2017; 38(10): 1735-9 4 Antoniadis G, Schleglmann K: Hinteres Tarsaltunnelsyndrom. Dtsch Arztebl 2008; 105(45): 776-81 5 Therimadasamy AK et al.: Combination of ultrasound and nerve conduction studies in the diagnosis of tarsal tunnel syndrome. Neurol India 2011; 59(2): 296-7

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