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Die Instabilität des Metatarsophalangealgelenks der Kleinzehe
Jatros
Autor:
OA Priv.-Doz. Dr. med. univ. et scient. med. Reinhard Schuh
Abteilung für Kinderorthopädie und Fußchirurgie,<br> Orthopädisches Spital Speising, Wien<br> E-Mail: reinhardChristoph.schuh@oss.at
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30.03.2017
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<p class="article-intro">Das instabile Metatarsophalangealgelenk stellt ein häufiges Krankheitsbild dar, das in unterschiedlicher Ausprägung auftreten kann. Die operative Therapie orientiert sich am Ausmaß der Instabilität/Deformität. Es finden sowohl Weichteil- als auch ossäre Eingriffe Anwendung. Durch die Weiterentwicklung von Instrumenten und Operationstechniken werden vermehrt direkte Rekonstruktionsverfahren der im Rahmen des Krankheitsbildes betroffenen Strukturen angewandt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Obwohl die Instabilität des Metatarsophalangealgelenks (MTP) der Kleinzehen bereits Ende des 19. Jahrhunderts erstmalig beschrieben wurde, wird diesen Pathologien und der differenzierten Therapie erst im Laufe der letzten Jahre zunehmend Beachtung geschenkt. Nicht zuletzt erweiterte Kenntnis der pathoanatomischen und -mechanischen Veränderungen, die zu diesem Krankheitsbild führen, ermöglichten eine diversifizierte Betrachtungsweise.<br /> Das klinische Erscheinungsbild beinhaltet neben der Schmerzhaftigkeit im MTP die „crossover toe“ als Ausdruck der Endstrecke der Instabilität mit kombinierter koronarer und sagittaler Instabilität.</p> <h2>Anatomie</h2> <p>Die Zehengrundgelenke werden durch die intrinsische und extrinsische Muskulatur des Vorfußes sowie durch die plantare Platte und die Kollateralbänder stabilisiert. Dabei stellt die plantare Platte den wesentlichen Stabilisationsfaktor dar. Ihr Ursprung liegt am metadiaphysären Übergang des distalen Metatarsale und sie inseriert als fibrokartilaginäre Struktur an der Basis der proximalen Phalanx in unmittelbarer Lagebeziehung zum phalangealen Gelenksknorpel. Sie hat eine durchschnittliche Länge von 2cm, eine Breite von 1cm und Dicke von 2–5mm. Weitere passive Stabilisatoren stellen die Seitenbänder dar, welche in das Ligamentum coll. proprius und das Ligamentum coll. accessorius unterteilt werden können, wobei Letzteres direkt in die plantare Platte übergeht.</p> <h2>Pathophysiologie</h2> <p>Die Instabilität des MTP kann durch eine Akutverletzung hervorgerufen werden, häufiger ist es jedoch ein chronisch progredienter Prozess mit zunehmender Deformierung der Kleinzehe. Initial ist eine Synovitis präsent, welche zu capsuloligamentären Affektionen führt. Sie kann durch systemisch-entzündliche Erkrankungen oder mechanische Faktoren hervorgerufen werden. Relative Überlänge der Metatarsalia, Insuffizienz des ersten Strahls durch Hallux valgus oder Hallux rigidus sowie Pes planovalgus können allesamt zu mechanischer Überlastung des MTP mit resultierender Instabilität führen. Diese Hypothese wird durch epidemiologische Untersuchungen gestützt, wonach 86 % der Patienten, die an diesem Krankheitsbild leiden, Frauen in der 6. Lebensdekade sind. Es ist davon auszugehen, dass das Tragen von Schuhen mit höheren Absätzen die mechanische Überlastung bedingt.<br /> Während des Abdruckes in der Standphase kommt es zu einer Dorsalextensionsbewegung der proximalen Phalanx. Die plantare Platte, die Kollateralbänder und die intrinsischen Flexoren (Mm. interosseii, Mm. lumbricales) wirken dieser Kraft entgegen und ziehen die proximale Phalanx wieder in Neutralstellung. Kommt es zu einer Insuffizienz dieser Stabilisatoren, erwächst eine zunehmende dorsale oder dorsomediale Subluxationsstellung der Kleinzehe. Die aktive Dorsalextension im MTP wird durch die Streckhaube der Extensordigitorum- longus-Sehne bewirkt, da diese keine direkte Insertion an der proximalen Phalanx hat. Die aktive Plantarflexion bewirken der Flexor digitorum longus und der Flexor digitorum brevis, wobei diese relativ wenig Kraft entwickeln.</p> <h2>Klinik</h2> <p>Die Beschwerden können akut auftreten oder im Rahmen eines chronischen Geschehens. Am häufigsten ist das MTP 2 betroffen. Das Punctum maximum der unter dem Sammelbegriff „Metatarsalgie“ zusammengefassten Schmerzen befindet sich am plantaren Aspekt des MTP. Die Schmerzen sind belastungsassoziiert und es kann eine begleitende Schwellung der Region auftreten. In fortgeschrittenem Stadium wird auch eine Deformität der Zehe präsent. Typischerweise schiebt sich die betroffene Zehe über oder unter die benachbarten Zehen. Differenzialdiagnostisch kann es schwierig sein, zwischen Läsionen der plantaren Platte und Morton-Neuromen zu unterscheiden. Bei Letzteren ist die Schmerzhaftigkeit v.a. bei dorsoplantarer Kompression des betroffenen Interspatiums zu provozieren, während bei Läsionen der plantaren Platte die dorsoplantare Translation des betroffenen Gelenks für den Patienten schmerzhaft ist.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Neben Anamnese und klinischer Untersuchung, bei welcher die dorsoplantare „Schublade“ als Provokationstest einen wesentlichen Bestandteil darstellt, sind stehend belastete Röntgenbilder des Fußes in zwei Ebenen das bildgebende Verfahren der Wahl. Hierbei kann einerseits die Subluxationsstellung, andererseits die koronare Deformität objektiviert werden. Letztere kann auch durch anguläre Messmethoden quantifiziert werden. Um die Integrität der plantaren Platte in frühen Stadien zu beurteilen, kann eine Magnetresonanztomografie durch erfahrene Befunder hilfreich sein. Dabei sollte allerdings eine Feldstärke von 3 Tesla zur Anwendung kommen.</p> <h2>Konservative Therapie</h2> <p>In Anfangsstadien der „crossover toe“ können plantarisierende Tapeverbände für 4–6 Wochen eine zielführende Therapie darstellen (Abb. 1). Das Ziel des Verbandes ist es, eine suffiziente Narbenheilung in Neutralstellung zu gewährleisten. Zusätzlich sollten Einlagen mit retrokapitaler Pelotte, physikalische Maßnahmen und Physiotherapie – nach einer anfänglichen Phase der Ruhigstellung mittels Tape-Verband – Anwendung finden. Intraartikuläre Injektionen mit Kortikoid und Lokalanästhetikum sollten zurückhaltend und keinesfalls repetitiv appliziert werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s71_abb1.jpg" alt="" width="684" height="1150" /></p> <h2>Operative Therapie</h2> <p>Die Möglichkeiten aktueller operativer Therapiekonzepte inkludieren Weichteilverfahren am MTP, direkte Naht der plantaren Platte, Sehnentransfers und Metatarsalosteotomien. Sie finden je nach Stadium isoliert oder kombiniert Anwendung. Die Wahl des Verfahrens orientiert sich am Ausmaß der Läsion (Abb. 2), der klinischen Instabilität sowie an Begleitpathologien im Sinne von Deformitäten. Coughlin et al haben basierend auf arthroskopischen Befunden der Rissmorphologie der plantaren Platte einen Algorithmus empfohlen, der als Orientierungshilfe gelten kann (Abb. 3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s71_abb2.jpg" alt="" width="684" height="1233" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s71_abb3.jpg" alt="" width="1417" height="635" /></p> <h2>Weichteilverfahren</h2> <p>Das Ziel dieser Techniken ist es, die kontrakten dorsalen artikulären und periartikulären Weichteilstrukturen zu lösen und damit zur Stellungskorrektur der Zehe beizutragen. Als einzelne Techniken sind in diesem Zusammenhang die Verlängerung der Extensor-digitorum-longus- Sehne, der Release der dorsalen Gelenkskapsel des MTP zur Korrektur der sagittalen Deformität und der Release kontrakter Kollateralbänder zur Korrektur der koronaren Deformität zu nennen.</p> <h2>Direkte Naht der plantaren Platte</h2> <p>Bei entsprechendem Läsionstyp kann eine direkte Naht der plantaren Platte durchgeführt werden. Die traditionelle Technik ist die Naht über einen plantaren Zugang. Bei Zuhilfenahme von Spezialinstrumenten kann allerdings auch ein dorsaler Zugang angewandt werden. Dabei wird ein Spezialspreizer eingesetzt. Ferner kann zur Verbesserung der Visualisierung bei kontrakten Verhältnissen eine Weil- Osteotomie addiert werden. Dabei wird das Kopffragment temporär stark proximalisiert, um die plantare Platte darzustellen. Im Anschluss wird die plantare Platte an ihrem Ursprung mittels Raspatorium (z.B. McGlamry) mobilisiert. In weiterer Folge erfolgen gegebenenfalls ein komplettes Ablösen an der Insertion im Bereich der proximalen Phalanx und das Fassen mittels Spezialinstrumenten (z.B. MiniScorpio, Fa. Arthrex; Viper, Fa. Arthrex; HATTRICK, Fa. Smith & Nephew) und Armieren mittels Faden. Es werden nun im Bereich der proximalen Phalanx Bohrkanäle angelegt, der Faden wird von plantar nach dorsal geführt und dorsal unter Berücksichtigung der entsprechenden Spannungsverhältnisse verknüpft (Abb. 4).<br /> Die in der Literatur berichteten Ergebnisse erscheinen vielversprechend, wobei das Verfahren technisch aufwendig ist und je nach definitiver Methode aufgrund des materiellen Aufwandes die Frage nach der Kosteneffektivität gestellt werden muss.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s71_abb4.jpg" alt="" width="684" height="1067" /></p> <h2>Sehnentransfers</h2> <p>Sehnentransfers können sowohl zur Korrektur der koronaren als auch der sagittalen Deformität und somit auch zur dorsoplantaren Stabilisierung eingesetzt werden. Um die koronare Deformität zu adressieren, wird die Sehne des Musculus extensor digitorum brevis 4cm proximal des Gelenkspalts abgesetzt und auf der Gegenseite der Deviationsrichtung der Zehen unter dem Ligamentum metatarsale transversum, welches als Hypermochleon dient, durchgeführt. Im Anschluss kann sie mit dem proximalen Stumpf vernäht oder aber transossär fixiert werden.<br /> Zur sagittalen Stabilisation dient der Flexor-pro-Extensor-Transfer (Girdlestone- Tailor, Abb. 5). In der Originaltechnik wird hierbei die Flexor-digitorum-longus- Sehne an der Planta pedis auf Höhe des MTP mobilisiert und distal des distalen Interphalangealgelenks abgesetzt. In weiterer Folge wird sie in zwei Schenkel geteilt, welche an der proximalen Phalanx nach dorsal geführt und mit dem Streckapparat in Korrekturstellung vernäht werden. In modifizierter Technik kann die Sehne in toto durch einen zentralen Bohrkanal der proximalen Phalanx geführt und mittels Interferenzschraube fixiert werden. Dies bietet den Vorteil einer stabileren Fixation und es wird auch eine Irritation des Lymphabflusses respektive eine Weichteilschwellung durch die Schenkel vermieden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s71_abb5.jpg" alt="" width="892" height="1481" /></p> <h2>Metatarsalosteotomien</h2> <p>Hierbei kann die traditionelle Weil- Osteotomie als isoliertes Verfahren oder als Zusatzeingriff Anwendung finden. Es ist in diesen Fällen allerdings wichtig, eine Plantarisierung in jedem Fall zu vermeiden, da durch die Insuffizienz der plantaren Strukturen des MTP das Rotationszentrum des Metatarsalköpfchens angehoben werden muss. Dies kann durch möglichst flache Schnittführung und Entnahme einer 1–2mm haltenden Scheibe gewährleistet werden.<br /> Bei milder Ausprägung haben auch distale metaphysäre Metatarsalosteotomien (DMMO) einen Stellenwert. Diese werden minimal invasiv via Stichinzision und Spezialfräsen durchgeführt. Es erfolgt keine Fixation der Osteotomie. Die Verkürzung/ Hebung des Metatarsalköpfchens erfolgt selbstadjustiert aufgrund der Ligamentotaxis. Bis zu welchem Ausmaß der „crossover toe“ diese Methode als isolierter Eingriff zu adäquaten Ergebnissen führt, ist aktuell bei geringer Datenlage noch nicht geklärt.</p> <h2>Eigener Algorithmus</h2> <p>Das eigene Vorgehen zur operativen Therapie dieser Krankheitsbilder orientiert sich am Ausmaß von Deformität und Instabilität. In Anfangsstadien bei geringer Deviation wird der Deformität mit minimal invasiven DMMO begegnet. In fortgeschrittenen Stadien erfolgt eine direkte Naht der plantaren Platte beziehungsweise, wenn dies nicht mehr möglich, ein Flexor-pro-Extensor-Transfer mit Interferenzschraubenfixation. Zu den offenen Verfahren kommen eine Weil-Osteotomie und ein dorsales Release. Die Nachbehandlung umfasst die Versorgung mittels Hallux-valgus-Schuh für 4–6 Wochen und plantarisierender Tapeverbände.</p></p>
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