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Häufig verkannte Ursache für Fußschmerzen im Jugendalter
Jatros
Autor:
Dr. Karin Riedl
Abteilung für Kinderorthopädie und Fußchirurgie,<br> Orthopädisches Spital Speising, Wien<br> E-Mail: karin.riedl@oss.at
30
Min. Lesezeit
30.03.2017
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<p class="article-intro">Fußschmerzen im Jugendalter sind in Bezug auf ihre Ätiologie sehr unterschiedlich. Die tarsale Coalitio als Schmerzauslöser bleibt viel zu oft über lange Zeit unerkannt. Einfache klinische Untersuchungen sind bei dieser Erkrankung jedoch bereits wegweisend, sofern an das mögliche Vorliegen einer tarsalen Coalitio gedacht wird.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Bei unklaren Fußschmerzen im Jugendalter muss an das Vorliegen einer tarsalen Coalitio gedacht werden.</li> <li>Durchführung des Heel-Rise- Tests bei allen Patienten mit Knick-Plattfuß</li> <li>Überprüfung der Beweglichkeit im Subtalargelenk bei allen Jugendlichen mit Fußschmerzen</li> <li>Auf Hinweise auf Vorliegen einer Coalitio tarsalis im seitlichen Strahlengang des konventionellen Röntgens achten („anteater nose sign“, C-Sign)</li> <li>Bei Verdacht auf tarsale Coalitio Screening mittels MRT (strahlungsfrei)</li> <li>Bei schmerzhafter Coalitio tarsalis sollte eine frühzeitige Resektion angestrebt werden.</li> </ul> <h2>Definition und Klassifikation</h2> Tarsale Coalitionen sind eine relativ häufige Anomalie des Fußes. Definitionsgemäß versteht man darunter brückenartige Verbindungen zwischen zwei oder mehr Knochen des Rück- und/oder Mittelfußes. Nach der Art der Verbindung können knöcherne, kartilaginäre und fibröse Coalitionen unterschieden werden. Die Klassifikation erfolgt anhand der Lokalisation der Brücke. Am häufigsten werden Coalitionen kalkaneonavikular (53 % ) und talokalkanear (37 % ) beschrieben. Sie können jedoch auch zwischen anderen Fußwurzelknochen auftreten. Oft entwickelt sich eine zunehmende fixierte (!) Knick-Plattfuß-Stellung. Fußform und -stellung können jedoch auch normal sein. Multiple Coalitionen zwischen mehreren Knochen treten meist im Rahmen eines komplexen Syndroms auf, z.B. bei Apert-Syndrom oder Fibulahemimelie. <h2>Ätiologie und Epidemiologie</h2> Die Ätiologie der Coalitio tarsalis ist bisher nicht genau bekannt. Eine Störung von Differenzierung und Segmentierung der primitiven mesenchymalen Anlage der tarsalen Knochen wird angenommen (Harris 1955). Die Inzidenz liegt bei ca. 1 % (Stormont 1983). Das männliche Geschlecht ist leicht bevorzugt betroffen und 39 % der Patienten haben Verwandte ersten Grades, die ebenfalls tarsale Coalitionen aufweisen (Leonard 1974). Aus diesen Gründen wird ein autosomal-dominanter Erbgang mit relativ hoher Penetranz angenommen. 60 % der kalkaneonavikularen und 50 % der talokalkanearen Coalitionen treten bilateral auf. <h2>Klinik</h2> Nicht alle Patienten mit tarsalen Coalitionen werden symptomatisch. Treten jedoch Beschwerden auf, so ist der Schmerz das leitende Symptom. Die Coalitionen werden erst durch die fortschreitende Ossifikation der bestehenden fibrösen oder kartilaginären Brücke schmerzhaft. Durch die Verknöcherung der Verbindungen der tarsalen Knochen entsteht eine Bewegungseinschränkung der Fußwurzelgelenke, insbesondere des Subtalargelenkes. Es kommt zu kompensatorischer Fehl- und Mehrbelastung von benachbarten Gelenken.<br /> Der Zeitpunkt des Auftretens von Schmerzen liefert Hinweise auf die Lokalisation der Coalitio: So verknöchern kalkaneonavikulare Coalitionen typischerweise in einem Alter von 8–12 Jahren, während talokalkaneare Coalitionen erst mit etwa 12–16 Jahren symptomatisch werden. Oft findet sich in der Anamnese ein banales Supinationstrauma, dem oft monatelange persistierende Schmerzen folgen, die auf konservative Therapieversuche (Modelleinlagen, Physiotherapie, Gips) nicht ansprechen. Angegeben werden Schmerzen praktisch ausschließlich bei und nach Belastung oder sportlicher Aktivität. Häufig wird der Schmerz in die Außenknöchelregion projiziert. <h2>Klinische Untersuchung</h2> Liegt eine (Knick-)Plattfuß-Stellung vor, finden sich dementsprechend ein meist deutlich verstärkter Fersenvalgus sowie ein abgeflachtes Fußlängsgewölbe. Der Heel-Rise-Test (Abb. 1) ist die einfachste und beste klinische Methode, um zwischen flexiblem und fixiertem Knick- Plattfuß zu unterscheiden: Bleibt eine Varisierung der Ferse im Zehenspitzenstand aus, ist das Subtalargelenk nicht frei beweglich. Bereits dieses klinische Zeichen muss zum Verdacht auf das Vorliegen einer tarsalen Coalitio führen.<br /> Bei Patienten mit Knick-Plattfüßen können im Gangbild auch eine erhöhte Außenrotation des Fußes mit erhöhtem Fußöffnungswinkel sowie eine verminderte Dorsalextensionsfähigkeit im oberen Sprunggelenk aufgrund einer Achillessehnenverkürzung auffallen.<br /> Bei allen Patienten mit tarsalen Coalitionen finden sich – unabhängig von der Fußform – auch Druckschmerzhaftigkeit über dem Sinus tarsi und der Coalitio selbst. Der Schmerz lässt sich häufig durch Pro- und Supinationsbewegungen provozieren. Hierbei kann bei einigen Patienten auch ein schmerzhafter Peronealsehnenspasmus beobachtet werden.<br /> Der wichtigste Schritt in der passiven klinischen Untersuchung muss die Überprüfung der subtalaren Beweglichkeit sein. Im unteren Sprunggelenk lassen sich, vor allem bei bereits verknöcherten Coalitionen, oft lediglich schmerzhafte Wackelbewegungen durchführen.</div> <div> </div> <div><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s61_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="749" /></div> <div> <h2>Bildgebende Diagnostik</h2> In standardmäßig durchgeführten Röntgenaufnahmen des Fußes, dp und seitlich im Stehen, lassen sich die beiden häufigsten Coalitionen nicht ausreichend darstellen. Jedoch gibt es für beide Coalitio- Typen typische Veränderungen. So liefert im seitlichen Strahlengang zwar das „anteater nose sign“ (verlängerter Processus anterior calcanei) einen Hinweis auf das Vorliegen einer kalkaneonavikularen Coalitio (Abb. 2), die Diagnose lässt sich aber nur durch die Darstellung der Coalitio in der 45°-Schrägaufnahme sichern (Abb. 3).<br /><br /> Ähnliches gilt für die talokalkaneare Coalitio: Während in der seitlichen Standardaufnahme das C-Sign (fehlende Unterbrechung zwischen medialer Talusschulter und Sustentaculum tali) auf eine talokalkaneare Coalitio hinweist (Abb. 4), ist zur Diagnosesicherung die Durchführung einer Computertomografie ratsam (Abb. 5). Dieses diagnostische Mittel bringt nicht nur die talokalkaneare Coalitio am besten zur Darstellung, sondern lässt im Hinblick auf eine operative Therapie auch eine Beurteilung des Ausmaßes der Brücke und der beteiligten Facetten des unteren Sprunggelenkes zu.<br /> Die Magnetresonanztomografie liefert ebenfalls exzellente Ergebnisse in Darstellung und Beurteilbarkeit von tarsalen Coalitionen. Zudem vermag sie zwischen knöchernen, kartilaginären und fibrösen Brücken zu differenzieren. Zum Ausschluss einer Coalitio tarsalis bei unklaren klinischen und nativradiologischen Befunden sollte aufgrund der Strahlungsfreiheit die Durchführung eines MRT gewählt und das CT erst bei gesicherter Diagnose zur OP-Planung herangezogen werden. Des Weiteren ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es sich empfiehlt, die vermutete tarsale Coalitio in der entsprechenden Schichtaufnahme auch als Orthopäde selbst zu verifizieren bzw. auszuschließen, da die schriftlichen radiologischen Befunde hier oftmals inkonklusiv sind.</div> <div> </div> <div><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s61_abb2_3_4.jpg" alt="" width="684" height="1709" /></div> <div><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s61_abb5.jpg" alt="" width="684" height="899" /></div> <div> <h2>Therapie</h2> Die Therapie der tarsalen Coalitio wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Entlastung und Ruhigstellung der betroffenen Füße bringen für die jungen Patienten zwar oft eine Besserung der Schmerzsituation während des Tragens der Orthese oder des Gipses, sind jedoch langfristig nicht zufriedenstellend. Bei Patienten mit schmerzhaften Coalitionen erscheint ein operatives Vorgehen zur dauerhaften Schmerzbeseitigung und ggf. gleichzeitigen Stellungskorrektur am sinnvollsten. Die operativen Möglichkeiten sind folgende: <ul> <li>Resektion der tarsalen Coalitio und Interposition eines Platzhalters (Fett/ Muskel/Knochenwachs) zur Rezidivprophylaxe (Abb. 6);</li> <li>Korrektur der Planovalgus-Deformität (Kalkaneusstoppschraube/Arthrorise/ Osteotomien) (Abb. 7);</li> <li>subtalare Arthrodese.</li> </ul> Für kalkaneonavikulare Coalitionen sollte früh und großzügig die Indikation zur Resektion gestellt werden. Die OPTechnik ist in diesen Fällen relativ einfach und die Ergebnisse nach ausreichender Resektion und Korrektur der Fehlstellung gut.<br /> Bei talokalkanearen Coalitionen ist eine differenzierte Abwägung von Alter, Fehlstellung, Leidensdruck und Prognose angebracht.<br /> Vor Wachstumsabschluss sollte immer die Resektion angestrebt werden. Neben Schmerzreduktion stehen hier der langfristige Erhalt einer (Teil-)Mobilität des Subtalargelenkes und die Vermeidung von Arthrosen benachbarter Gelenke im Vordergrund. Nach Wachstumsabschluss sollte die Resektion Patienten mit kleinen Coalitionen, lokalen Schmerzen und fehlenden degenerativen Veränderungen der tarsalen Gelenke vorbehalten bleiben. Bei ausgedehnten knöchernen Coalitionen, Fehlstellungen und Arthrosen wird nach Wachstumsabschluss die Durchführung einer (reorientierenden) Arthrodese des Subtalargelenkes empfohlen.</div> <div> </div> <div><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s61_abb6.jpg" alt="" width="1417" height="446" /></div> <div><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s61_abb7.jpg" alt="" width="1417" height="531" /></div> <div> <h2>Ergebnisse und Prognose</h2> Bei der Aufklärung des Patienten sollte ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass mit einer vollständigen Integrität des Rückfußkomplexes auch nach ausreichender Resektion und Stellungskorrektur nicht zu rechnen ist. Zumeist zeigt sich zwar eine deutlich verbesserte Beweglichkeit im talokalkaneonavikularen Gelenkkomplex, jedoch bestehen nach körperlicher Belastung und sportlicher Aktivität oft Restbeschwerden. Die Rezidivrate (Reossifikation) beträgt etwa 6–8 % .</div></p>
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