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Osteochondrale Läsion am Talus
Jatros
Autor:
Dr. Peter Bock
Abteilung für Kinderorthopädie<br> und Fußchirurgie,<br> Orthopädisches Spital Speising, Wien<br> E-Mail: peter.bock@oss.at
30
Min. Lesezeit
30.03.2017
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<p class="article-intro">Verletzungen des oberen Sprunggelenks machen bis zu 15 % aller Sportverletzungen überhaupt aus. Dabei steigt die Zahl an Verletzungen des Knorpels. Nach wie vor steht kein eindeutiger Behandlungsalgorithmus zur Verfügung. Faktoren zur Entscheidungsfindung sollen hier beschrieben werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Behandlung von Knorpelläsionen am Sprunggelenk bleibt eine chirurgische Herausforderung.</li> <li>Nach wie vor gibt es keine eindeutigen Therapiealgorithmen bzw. kein Verfahren, das den anderen evidenzbasiert überlegen ist.</li> <li>Die Entscheidung, welches Verfahren angewandt wird, hängt vor allem von der Größe und der Lage des Knorpeldefekts ab und davon, ob eine Zyste vorhanden ist oder nicht.</li> <li>Die Mikrofrakturierung als alleinige Behandlung ist derzeit laut Literatur nur bis zu einer maximalen Größe von 1,5cm<sup>2</sup> (Empfehlung der ICCRA: <1,0cm<sup>2</sup>) empfohlen. Darüber hinaus sind andere Verfahren zu empfehlen.</li> <li>Begleiteingriffe wie Bandplastik oder Umstellungsosteotomien sollten in bestimmten Fällen erwogen werden.</li> </ul> </div> <p>Die häufigste Ursache einer osteochondralen Läsion am Talus (OLT) ist zweifelsohne das Trauma. So konnten in einigen Studien im Vorfeld einer OLT bei bis zu 70 % der Fälle eine Fraktur und bei bis zu 50 % eine OSG-Distorsion erhoben werden. Die laterale Läsion ist dabei häufiger einem Trauma zuzuschreiben (98 % ) als die mediale Läsion (70 % ). Doch nicht nur das akute Trauma stellt eine Ursache dar, auch die chronische Instabilität mit repetitiven Mikrotraumata hat einen Einfluss auf die Entstehung einer OLT.<br /> Obwohl das Trauma die häufigste Ursache darstellt, wurden auch andere Ursachen bzw. Faktoren beschrieben: kongenital/ hereditär, spontane Nekrose, Steroidbehandlung oder lokale Embolie. Bei Jugendlichen scheinen diese atraumatischen Ursachen im Vordergrund zu stehen.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Zunächst ist die Anamnese dahingehend charakteristisch, als ein tief sitzender Schmerz im oberen Sprunggelenk bei Belastung beschrieben wird – im Gegensatz zu einem eher oberflächlichen Schmerz beim Impingement des Sprunggelenks. Bei der Untersuchung ist besonders darauf zu achten, ob eine Fehlstellung des Sprunggelenks oder eine Bandinstabilität vorliegt. Eine eindeutige Druckschmerzhaftigkeit des betroffenen Anteils des Talus liegt nicht immer zwingend vor, da die Läsion vor allem medialseitig meist weit posterior liegt. Auch ein Erguss oder eindeutige synovitische Schwellung sind nicht immer vorhanden. In der Bildgebung darf die MRT als Goldstandard gesehen werden, obwohl die Läsion auch im Röntgen zu sehen ist. Die OLT wird je nach Autor in unterschiedliche Stadien eingeteilt (Tab. 1). Zur genauen Größenbestimmung des Defekts oder einer subchondralen Zyste ist die Computertomografie besser geeignet. Begleitläsionen wie Bandrupturen oder Syndesmosenruptur lassen sich allerdings nur in der MRT diagnostizieren. Die Röntgendiagnostik ist allerdings nach wie vor im Falle einer verdächtigen Fehlstellung des Sprunggelenks (Ferse oder distale Tibia) unumgänglich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s68_tab1.jpg" alt="" width="686" height="617" /></p> <h2>Konservative Therapie</h2> <p>Der Stellenwert der konservativen Therapie ist beim Jugendlichen als vorrangig, beim Erwachsenen eher als untergeordnet anzusehen, da im Erwachsenenalter nicht von einer Restitutio ad integrum auszugehen ist. Als konservative Therapiemaßnahmen kommen die Modifikation der sportlichen Aktivität bzw. die Schonung, die Einnahme von NSAR oder Glukosaminoglykanen, physikalische Maßnahmen und vor allem die Physiotherapie bei zusätzlicher Bandinstabilität zum Tragen. Für eine Infiltrationstherapie stehen Hyaluronsäurepräparate und PRP („plateletrich plasma“) zur Verfügung.</p> <h2>Chirurgische Therapie</h2> <p>Im Rahmen der chirurgischen Therapie gilt es vor allem, das geeignete Verfahren, aber auch den geeigneten chirurgischen Zugangsweg zum oberen Sprunggelenk zu finden. Als Entscheidungshilfe müssen folgende Faktoren ins Kalkül gezogen werden: - Lage der Läsion (posterior/anterior, medial/ lateral)<br /> - Größe der Läsion - Erstoperation/Revisionsoperation<br /> - akute oder chronische Läsion<br /> - Vorhandensein einer subchondralen Zyste<br /> - Zyste mit intaktem Knorpel<br /> - Begleitläsion/Bandinstabilität<br /> - Fehlstellung<br /><br /> Bezüglich des chirurgischen Zugangs muss zunächst entschieden werden, ob die Operation offen oder arthroskopisch durchgeführt wird. Vor allem die Mikrofrakturierung eignet sich für ein arthroskopisches Verfahren. Fällt die Entscheidung für ein offenes Verfahren, muss entschieden werden, ob eine Malleolusosteotomie notwendig ist oder ein offener vorderer Zugang möglich ist. Um besser abschätzen zu können, ob die Läsion von anterior zugänglich ist, kann ein Röntgen in maximaler Plantarflexion hilfreich sein. Posteromediale Läsionen bedürfen aber meist einer medialen Malleolusosteotomie (Abb. 1), um die Läsion behandeln zu können.<br /> Eindeutige Behandlungsalgorithmen sind in der bisherigen Literatur nicht zu finden, lediglich Empfehlungen werden ausgesprochen.<br /><br /><strong> Refixation</strong><br /> Dieses Verfahren kommt nur bei Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen und kurz zurückliegenden traumatischen Läsionen infrage, wobei die Refixation mittels resorbierbarer Pins durchgeführt werden kann. Das Fragment darf eine kritische Größe im Verhältnis zur Pingröße nicht unterschreiten.<br /><br /><strong> Mikrofrakturierung</strong><br /> Diese ist wohl eine der am häufigsten durchgeführten Therapien bei OLT. Laut Literatur sollten nur Läsionen <1,5cm<sup>2</sup> mittels Mikrofrakturierung behandelt werden. Im Rahmen des ICCRA (International Congress on Cartilage Repair of the Ankle) 2016 in Italien wurde die Größe allerdings auf 1,0cm<sup>2</sup> zurückgestuft. Größere Läsionen sollten einer Mikrofrakturierung nicht mehr zugeführt werden, da die lang- und mittelfristigen Ergebnisse nicht zufriedenstellend sind. Außerdem ist – wie auch am Kniegelenk – bekannt, dass die Ergebnisse von Revisionseingriffen nach Mikrofrakturierung schlechter sind als solche, denen keine Mikrofrakturierung vorangegangen ist. Als Verbesserung der reinen Mikrofrakturierung wird zusätzlich die Anlagerung einer Matrix vorgeschlagen (autologe matrixinduzierte Chondrogenese, AMIC-Technik).<br /><br /><strong> Knorpelzüchtung (ACI/MACI)</strong><br /> Die autologe Knorpelzellimplantation ist wie am Kniegelenk ein zweizeitiges Verfahren. Der Knorpel zur Züchtung wird am Kniegelenk entnommen, kultiviert und dann auf eine Matrix aufgebracht, welche nach Debridement in den Defekt gelegt wird. Das Verfahren eignet sich für Läsionen, die größer als 1,0–1,5cm<sup>2</sup> sind, und Revisionsoperationen. Die Nachteile des Verfahrens sind seine zweizeitige Anwendung und die doch erheblichen Kosten. Bisher konnte die Knorpelzellzüchtung keine evidenzbasierten besseren Ergebnisse als andere Verfahren zeigen.<br /><br /><strong> OATS („osteoarticular transfer system“)/ Mosaikplastik</strong><br /> Diese Technik erlaubt es, einen osteochondralen Zylinder aus dem Kniegelenk in das obere Sprunggelenk zu transferieren. Sie eignet sich vor allem dazu, subchondrale Zysten zugleich mit dem Knorpeldefekt zu füllen. Auch wird diese Methode als Revisionsmethode empfohlen. Als Nachteile werden die Entnahme von gesundem Knorpel aus dem Kniegelenk gesehen und die Möglichkeit daraus resultierender Beschwerden im Kniegelenk.<br /><br /><strong> Knochenmarkstammzellen</strong> Diese relativ neue Technik besteht darin, aus Knochenmarkpunktat Stammzellen zu gewinnen. Dazu wird ein Punktat aus dem Beckenkamm gewonnen und je nach System zentrifugiert oder nicht. Die Zellen werden dann in einem einzeitigen Verfahren auf eine Matrix aufgebracht und damit der Knorpeldefekt gedeckt. Die bisherigen Ergebnisse sind relativ vielversprechend. Die Vorteile des Verfahrens liegen in seiner Einzeitigkeit und deutlich niedrigeren Kosten als die Knorpelzellzüchtung. Einzelne Autoren beschreiben dieses Verfahren auch als arthroskopische Anwendung, wobei die offene Applikation aus Sicht des Autors einfacher erscheint. Das Verfahren kann sowohl als Erstverfahren als auch im Falle einer Revision angewandt werden (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1702_Weblinks_s68_abb1_2.jpg" alt="" width="685" height="1321" /><br /><br /><strong> Alternative Verfahren</strong><br /> Bei Läsionen, die sich nicht mit den oben genannten Methoden behandeln lassen, oder im Falle einer Revision kann auch an ein Allograft für den Talus bzw. für Teile des Talus gedacht werden. Hierzu sind allerdings nur einzelne Fallberichte in der Literatur vorhanden.<br /><br /><strong> Innovative Verfahren</strong><br /> Dazu zählen Verfahren, bei denen zerkleinerter juveniler allogener Knorpel oder auch gereinigte extrazelluläre allogene Knorpelmatrix direkt in den Knorpeldefekt eingebracht wird. Beide Verfahren sind in Österreich allerdings zurzeit nicht verfügbar.<br /><br /><strong> Zystenbildung</strong><br /> Im Fall einer Zystenbildung unterhalb des Knorpels ist zu unterscheiden, ob der Knorpel oberhalb der Zyste erhalten ist oder nicht. Diese Frage lässt sich meist nicht zu 100 % mit der MRT beantworten. Deshalb geht die Empfehlung des Autors dahin, vor der Zystenfüllung eine Arthroskopie durchzuführen. Ist der Knorpel intakt, kann die Zyste von retrograd angebohrt und mit Knochenmaterial aufgefüllt werden. Ist der Knorpel defekt, ist ein offenes Verfahren mit Knorpeldebridement, Zystenausräumung und Auffüllung und Anlage einer Matrix (± Knochenmarkstammzellen) zu empfehlen. Alternativ kann auch ein Knorpel- Knochen-Zylinder aus dem Kniegelenk entnommen werden.<br /><br /><strong> Begleiteingriffe</strong><br /> Knorpeldefekte können durch Bandinstabilitäten am Sprunggelenk entstehen, daher ist es unumgänglich, diese zunächst zu diagnostizieren und auch zu behandeln. Die Diagnose einer Bandruptur lässt sich zum einen mittels der klinischen Untersuchung unter Zuhilfenahme der MRT gewährleisten. Die Beurteilung der Syndesmose lässt sich meist erst arthroskopisch eindeutig festlegen.<br /> Im Falle einer Fehlstellung muss beurteilt werden, ob es sich um eine Valgusoder eine Varusfehlstellung handelt und woher diese kommt: Tibia oder Calcaneus. Dies lässt sich durch Ganzbeinaufnahmen und Saltzmann-Aufnahmen des Fersenbeins festlegen. Je nachdem, von wo die Fehlstellung herrührt, müssen entweder das Fersenbein oder die distale Tibia in ihrer Fehlstellung korrigiert werden.</p></p>
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