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RegACL: ein regeneratives Kreuzband-Implantat aus medizinisch hochreiner Seide
Jatros
Autor:
Dr. Thomas Nau
Autor:
Prof. Heinz Redl
Autor:
Dr. Bernhard Küenburg
Autor:
DI Dr. Andreas H. Teuschl
Leiter Stadt Wien Kompetenzteam Tissue Engineering<br> Signaltransduktion<br> FH Technikum Wien<br> E-Mail: andreas.teuschl@technikum-wien.at
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
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<p class="article-intro">Ein neuartiges Scaffold aus natürlichem Protein gewährleistet einerseits die Primärstabilität in der frühen postoperativen Phase und dient andererseits als Leitstruktur für die funktionale Regeneration des Kreuzbandes.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Das vordere Kreuzband ist eines der am häufigsten verletzten Bänder bei Sportunfällen. Insbesondere junge Sportler zwischen 18 und 30 Jahren sind betroffen. Ein rupturiertes vorderes Kreuzband führt zu einer funktionellen Instabilität des Kniegelenkes, daher ist in der Regel die operative Stabilisierung indiziert.<br /> Das heutige gängigste Verfahren („Goldstandard“) ist die Kreuzbandersatzplastik aus autologem Material, z.B. mit Patellarsehne oder Semitendinosussehne. Ein möglicher funktioneller Nachteil liegt in der langen Rehabilitation und Sportkarenz und dem möglichen Verlust an Festigkeit während der Umbauphase, wodurch eine erhöhte Ruptur- bzw. Elongationsgefahr besteht. Ein weiterer Nachteil ist in der Entnahme des autologen Transplantats zu sehen, da diese mit einem gewissen Defekt (oft verbunden mit Schmerzen für den Patienten) wie auch einem Funktionsverlust bzw. einer Destabilisierung des Gewebes an der Entnahmestelle einhergeht. Zum Beispiel klagen Patienten, bei denen eine Kreuzbandrekonstruktion unter Verwendung von Teilen der Patellarsehne durchgeführt wurde, über Schmerzen beim Knien. Zudem stehen Transplantate aus autologen Materialien nicht unbegrenzt zur Verfügung. Insbesondere bei sportlich aktiven Menschen kommt es recht häufig zu sich wiederholenden Verletzungen der vorderen Kreuzbänder. Darüber hinaus zeigen Studien mit langfristigen Daten (>10 Jahre), dass Patienten mit rekonstruiertem Kreuzband eine höhere Arthroserate zeigen. Als Alternative zum autologen Material wird vor allem im angloamerikanischen Raum recht häufig allogenes Sehnengewebe verwendet. Dabei fällt einerseits die Problematik an der Entnahmestelle weg, andererseits zeigen Studien, dass diese sogenannten „Allografts“ mit einer signifikant höheren Rerupturrate einhergehen.<br /> Historisch gesehen waren vor 30 bis 35 Jahren verschiedene Kunstbänder kurzfristig sehr populär, diese wurden aber aufgrund der hohen Versagerrate und wegen zum Teil katastrophaler Gelenksentzündungen rasch wieder verlassen und gelten heute als obsolet.<br /> Diese Gefahren und Limitierungen führen dazu, dass auf dem Gebiet der Kreuzbandchirurgie nach wie vor intensiv geforscht wird, wobei die Gewebsregeneration mit Sicherheit einen zukunftsträchtigen Stellenwert einnimmt. Die Verwendung von neuartigen Implantaten aus dem natürlichen Protein Seide stellt hierbei eine vielversprechende Innovation dar, mit der oben genannte Probleme eventuell verhindert bzw. umgangen werden können.<br /> Das AUVA Forschungszentrum/Ludwig Boltzmann Institut für klinische und experimentelle Traumatologie hat gemeinsam mit der Fachhochschule Technikum Wien in den vergangenen 8 Jahren ein regeneratives Kreuzband-Implantat aus Naturseide (Bombyx mori), kurz „RegACL“ genannt, entwickelt, das dem menschlichen Kreuzband hinsichtlich mechanischer Belastbarkeit und Flexibilität/Elastizität nachempfunden ist.<br /> Die Grundidee hinter dem RegACLSeidenscaffold ist, dass dieses einerseits als mechanisches Bindeglied zwischen Femur und Tibia die Primärstabilität des Kniegelenks in der frühen postoperativen Phase sicherstellt und andererseits als Leitstruktur für die funktionale Regeneration des Kreuzbandes dient. Diese Leitstruktur soll über einen Zeitrahmen von 2 bis 4 Jahren vom Körper kontinuierlich abgebaut werden. Aufgrund seiner Natur als inertes Strukturprotein wird es vom Körper nicht als Fremdkörper erkannt und ist wie seine Abbauprodukte (Peptide und Aminosäuren) nicht toxisch. Damit Seide diese optimalen Eigenschaften aus mechanischer Stabilität bzw. Biokompatibilität aufweist, muss sie medizinisch hochrein aufgereinigt werden, mit möglichst geringer Veränderung der molekularen Struktur. Zu diesem Zweck konnte ein neuartiges und durch ein Patent geschütztes Reinigungsverfahren für textiltechnisch hergestellte Seidenimplantate entwickelt werden. Das so aufgereinigte Seidenkreuzband konnte in einer Großtierstudie am Schaf erfolgreich getestet werden.<sup>1</sup> Insgesamt konnte in dieser Studie nachgewiesen werden, dass das konstruierte Seidenkreuzbandimplantat gute Zell- und Gewebeverträglichkeit in vivo zeigte. Die damit behandelten Versuchstiere waren in ihrem Bewegungsablauf von 6 Wochen postoperativ bis Ende der Beobachtungszeiträume unbeeinträchtigt. Daraus lässt sich schließen, dass das Transplantat die Funktionalität des Kniegelenks gewährleistet.<br /> Sowohl aus makroskopischen als auch histologischen Untersuchungen konnte geschlossen werden, dass sich ein Bandkonstrukt anstelle des implantierten Seidenkreuzbandes nach 6 bzw. 12 Monaten postoperativ gebildet hatte. Dieses Konstrukt bestand aus teilweise degradierten Seidenfasern und darin infiltrierten Zellen bzw. neu gebildetem Bandmaterial. Diese Studie zeigte, dass es mit auf Seide basierten Gerüststrukturen möglich ist, das vordere Kreuzband zu rekonstruieren, aber auch zu regenerieren, da der Körper beginnt, Bandmaterial neu aufzubauen. Es weist damit alles darauf hin, dass dieser regenerative Ansatz tatsächlich funktioniert.<br /> Diese Forschungsergebnisse haben sowohl national als auch international bereits ein beachtliches Echo hervorgerufen. So wurde Andreas Teuschl 2017 mit dem Wissenschaftspreis der Österreichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie ausgezeichnet. Als weiteres „Highlight“ darf ein Symposium zum Thema „Regeneration des vorderen Kreuzbandes“ beim diesjährigen Weltkongress der Tissue Engineering and Regenerative Medicine International Society (TERMIS) in Kyoto, Japan, gesehen werden, welches von der heimischen Forschungsgruppe veranstaltet wird und ein Zusammentreffen der weltweit führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet darstellt.<br /> Um das Konzept möglichst rasch in Richtung klinische Anwendung zu bringen, wurde im Mai 2017 in Wien die Firma MorphoMed gegründet und durch die Seed-Finanzierung des AWS sowie durch private Investoren finanziert. MorphoMed kümmert sich nicht nur um die Entwicklung eines kommerziellen Herstellungsprozesses, die Durchführung einer klinischen Studie und die Zulassung von RegACL als Medizinprodukt der Klasse 3, sondern in weiterer Folge auch um die klinische Verfügbarkeit dieses innovativen und zukunftsträchtigen Produktes.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Teuschl A et al.: Am J Sports Med 2016; 44: 1547-57</p>
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