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Strut-Allografts in der operativen Versorgung von periprothetischen Femurfrakturen – hot or not?
Jatros
Autor:
OA Dr. Werner Maurer-Ertl
Universitätsklinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie LKH Univ.-Klinikum Graz
Autor:
Dr. Nina Hörlesberger
E-Mail: nina.hoerlesberger@aon.at
30
Min. Lesezeit
17.11.2016
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<p class="article-content"><p>Periprothetische Frakturen treten immer häufiger auf,<sup>1</sup> die Ursachen dafür sind multifaktoriell bedingt. Die immer höhere Lebenserwartung und eine damit verbundene Zunahme der altersbedingten Arthrosen erklärt die steigende Zahl an implantierten Prothesen, allen voran Hüftgelenks- und Kniegelenkstotalendoprothesen.<sup>2</sup> Ein lifestylebedingter höherer Anspruch an das künstliche Gelenk und ein geringeres Patientenalter zum Zeitpunkt der Erstimplantation sind mitunter die Ursache für die steigende Zahl an Revisionseingriffen. Die Inzidenz traumatischer periprothetischer Frakturen wird in der Literatur für Hüftgelenkstotalendoprothesen mit 0,1–6,0 % und für Kniegelenkstotalendoprothesen mit 0,5–5,5 % angegeben.<sup>2 <br /></sup>Als Ursache periprothetischer Frakturen werden meist niedrigenergetische Traumen, begünstigt durch abriebbedingte Osteolysen, gelockerte Prothesenkomponenten, lokale Infektionen, aber auch Stressfrakturen durch Implantatfehlstellungen angegeben. Ein umstrittenes Thema, was die Risikofaktoren für eine periprothetische Fraktur betrifft, stellt das femorale Notching im Zuge der Implantation einer KTEP dar. Durch das vermehrte Unterschneiden im ventralen Bereich der Femurkompakta wird eine deutlich niedrigere Torsionsstabilität vermutet.<sup>2, 3</sup></p> <h2>Vancouver-Klassifikation</h2> <p>Periprothetische Frakturen des proximalen Femurs werden nach der Vancouver-Klassifikation eingeteilt. Diese berücksichtigt die Frakturlokalisation, die Knochenqualität und die Prothesenstabilität (Tab. 1).<sup>4, 5 </sup></p> <h2>Lewis-Rorabeck-Klassifikation</h2> <p>Frakturen des distalen Femurs werden nach Lewis-Rorabeck eingeteilt. Diese Klassifikation orientiert sich an der Dislokation und an der Prothesenstabilität (Tab. 2).<sup>6</sup></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s32.jpg" alt="Tab.1,2" width="1418" height="991" /></p> <h2><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s33_2.jpg" alt="Tab. 3" width="1417" height="799" /></h2> <h2>Therapie</h2> <p>Die operative Sanierung mittels ORIF („open reduction and internal fixation“) und/oder der Komponentenwechsel sind die Therapieoptionen der Wahl. Konservative Therapieschemata beschreiben in bis zu 42 % „Non-union“-Komplikationen<sup>7</sup> und sind somit nur in Ausnahmefällen eine Behandlungsalternative. <br />Neben der Frakturlokalisation, der Knochenqualität und der Stabilität der Prothese ist die Therapieentscheidung auch vom Alter des Patienten und seinem physiologischen Zustand inkl. Komorbiditäten sowie von der Erfahrung des Chirurgen abhängig.<sup>4</sup> Masri et al empfehlen bereits 2004 die Verwendung von Struts für periprothetische Frakturen mit instabiler Prothesen- und/oder Frakturkomponente.<sup>4</sup></p> <h2>Struts</h2> <p>Unter einem Strut-Graft („strut“ = engl. Stütze, Strebe) versteht man kortikale Allografts aus tiefgefrorenen Leichenteilen, welche nach internationalen Transplantationsrichtlinien aufbereitet werden. Sowohl die Entnahme wie auch die Aufbereitung und Lagerung der Präparate sind gesetzlich streng geregelt (Tab. 3). Nach erfolgter breiter Abklärung des Spenders (Abfrage im Widerspruchsregister, Abnahme von Blutkulturen, serologische Untersuchung auf CMV und Lues sowie zusätzliche PCR auf Hepatitis B und C sowie HIV, Abstrichentnahme etc.) erfolgt bei unauffälligen Befunden die Freigabe durch die Knochenbank.<br />Geschichtlich wurden die ersten Allografts an Radii von Hunden getestet. Kreuz publizierte 1951 über Strut-Grafts in Inlay-Technik.<sup>8</sup> Darauf aufbauend erforschte Malinin 1984 ebenfalls an Hunden die Onlay-Technik.<sup>9</sup> Die erste Verwendung von Strut-Allografts beim Menschen wurde von Chandler und Penenberg 1989 beschrieben.<sup>10</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s33_1.jpg" alt="Abb. 1" width="1417" height="803" /></p> <h2>Kritikpunkte</h2> <p>Kritiker befürchten durch den erforderlichen größeren Hautschnitt einen Gewebeschaden, einhergehend mit einer erhöhten Infektionsrate und verzögerter Knochenheilung. Weiters werden die Möglichkeit der Krankheitsübertragung vom Spender auf den Empfänger sowie eine mögliche Immunreaktion teils kontrovers diskutiert. Die unterschiedliche Dauer und das unterschiedliche Ausmaß der Resorption bzw. Inkorporation des Allografts sorgen für weiteren Diskussionsstoff.<sup>10, 11</sup></p> <h2>Strut-Allografts und Vancouver</h2> <p>Choi et al beschrieben 2010 im Rahmen einer biomechanischen Studie an Vancouver-B1-Frakturen einen deutlichen Vorteil der Verwendung von Strut-Allografts im Vergleich zur alleinigen Verwendung einer lateralen LCP-Platte mit Cerclagen. Ein noch besseres Ergebnis in puncto Steifigkeit erzielte jedoch die Kombination aus einer lateralen und einer anterioren Plattenosteosynthese.<sup>12</sup> Sariyilmaz et al sprachen sich 2014 nach biomechanischen Analysen klar für mediale Strut-Allografts bei Vancouver-B1-Frakturen aus.<sup>7</sup> Kim et al befürworten 2015 in einer Follow-up-Studie die Verwendung von Strut-onlay-Allografts bei Revisionseingriffen von Hüfttotalendoprothesen.<sup>13</sup> 2016 plädieren Yeo et al für Strut-Allografts bei B1-Frakturen.<sup>14</sup> <br />Die hauptsächliche Indikation für Strut-Allografts wird für Vancouver-B1- und -C-Frakturen gestellt. Einige Autoren befürworten aber auch ihre Verwendung bei Typ-B2- und -B3-Frakturen nach Revisionseingriffen bei größeren Knochensubstanzverlusten.<sup>10</sup> Hernandez et al legen sich fest und empfehlen Strut-Allografts für folgende Situationen:</p> <ul> <li>in Fällen von queren Femurfrakturen distal der Hüftprothesenspitze, in denen aus diversen Gründen anstatt des Schaftwechsels eine Plattenosteosynthese durchgeführt wird</li> <li>bei jungen Patienten mit Typ-B2- und -B3-Frakturen mit erhöhtem Knochensubstanzverlust</li> <li>im Rahmen von Reosteosynthesen mit Trümmer- oder Lysezonen der medialen Kortikalis<sup>10</sup></li> </ul> <p>Die Entscheidungsfindung in Bezug auf die Versorgung von proximalen periprothetischen Femurfrakturen kann sich schwierig gestalten. Im Falle distaler periprothetischer Femurfrakturen ist die zur Verfügung stehende Literatur in Zusammenhang mit Strut-Allografts jedoch überschaubar.</p> <h2>Strut-Allograft und Lewis-Rorabeck</h2> <p>Chen et al empfehlen 2013 die Kombination aus einer Verriegelungsplatte und einem Strut-Allograft.<sup>15</sup> Mäkinen et al kommen im Rahmen einer biomechanischen Studie zu dem Schluss, dass ein intramedullärer Fibula-Strut-Allograft keinen signifikanten Vorteil im Vergleich zur Versorgung mittels polyaxialer Verriegelungsplatte bietet.<sup>16</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s34_1.jpg" alt="Abb. 2" width="1417" height="1114" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s34_2.jpg" alt="Abb. 3" width="1417" height="799" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Sowohl die Vancouver- wie auch die Lewis-Rorabeck-Klassifikation dienen als exzellente Hilfestellungen bei der Entscheidungsfindung in Bezug auf die Behandlung periprothetischer proximaler und distaler Femurfrakturen (Abb. 2 und Abb. 3). Insgesamt präsentiert sich die Studienlage zu diesem komplexen Thema heterogen, jedoch zeigen zahlreiche rezente Studien einen Trend in Richtung der Verwendung von Strut-Allografts in der Versorgung proximaler periprothetischer Femurfrakturen. Aufgrund bislang fehlender Guidelines liegt die endgültige Entscheidung über die Therapie (Plattentyp, Positionierung der Platte/n, Cerclagen, Strut-Allografts usw.) in der Verantwortung des Chirurgen.<br /> Aus unserer Sicht können Strut-Allografts unter Berücksichtigung gewisser Faktoren (geeigneter Patient, Verfügbarkeit, Erfahrung des Chirurgen) als eine gute Ergänzung zur konventionellen Versorgung periprothetischer Frakturen dienen.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Kim YH et al: J Arthroplasty 2016; online 7 June; in press <strong>2</strong> Hagel A et al: Dtsch Arztebl Int 2014; 111(39): 658-64 <strong>3</strong> Yoo JD, Kim NK: Knee Surg Relat Res 2015; 27(1): 1-9 <strong>4</strong> Masri BA et al: Clin Orthop Relat Res 2004; (420): 80-95 <strong>5</strong> Duncan CP, Masri BA: Instr Course Lect 1995; 44: 293-304 <strong>6</strong> Rorabeck CH, Taylor JW: Orthop Clin North Am 1999; 30(2): 209-14 <strong>7</strong> Sariyilmaz K et al: J Arthroplasty 2014; 29(7): 1485-90 <strong>8</strong> Kreuz FP et al: J Bone Joint Surg Am 1951; 33-A(4): 863-72; passim <strong>9</strong> Malinin T et al: Clin Orthop Relat Res 1984; (190): 281-6 <strong>10</strong> Hernandez JT, Holck K: Injury 2015; 46(Suppl 5): S43-6 <strong>11</strong> Tsiridis E et al: Injury 2007; 38(6): 688-97 <strong>12</strong> Choi JK et al: J Arthroplasty 2010; 25(6 Suppl): 124-8 <strong>13</strong> Kim YH et al: Clin Orthop Relat Res 2015; 473(9): 2990-3000 <strong>14</strong> Yeo I et al: Int Orthop 2016; Jan 13 [Epub ahead of print] <strong>15</strong> Chen SH et al: Knee 2014; 21(1): 224-31 <strong>16</strong> Makinen TJ et al: Int Orthop 2015; 39(9): 1737-42</p>
</div>
</p>
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