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Innovation in der Behandlung ausgeprägter Nervenläsionen

Die Verwendung von Leichennerven zur Rekonstruktion peripherer Nerven

<p class="article-intro">Die Verwendung von Leichennerven zur Rekonstruktion peripherer Nerven Seit einigen Jahren besteht die Möglichkeit, schwere Verletzungen peripherer Nerven vor allem der oberen Extremitäten mit speziell aufgearbeiteten Totspendenerven zu therapieren. Dieser neue Zugangsweg verspricht eine nebenwirkungsärmere Behandlung bei hochgradigen Nervenverletzungen im Vergleich zur standardmäßig angewandten Nerventransplantation mit Eigenspendenerv.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Nervenrekonstruktion peripherer Nerven</h2> <p>Schwere Nervenverletzungen ziehen Defizite in motorischer und sensibler Funktion der Extremit&auml;ten nach sich. Oft f&uuml;hren solche Traumata zu tiefgreifenden Einschr&auml;nkungen im Leben der Patienten. Ist die Kontinuit&auml;t des betroffenen Nervs nicht mehr gegeben, muss sie durch operative Ma&szlig;nahmen wiederhergestellt werden. Ziel ist eine spannungsfreie Koaptierung der beiden Nervenst&uuml;mpfe. Erscheint eine direkte Approximierung der Nervenenden aufgrund des Ausma&szlig;es, der Kontaminierung der Verletzung oder der Retraktion des Nervs nicht m&ouml;glich, so muss der Defekt interpositioniert werden. Allseits als Goldstandard anerkannt ist die &Uuml;berbr&uuml;ckung von Nervendefekten mit autologen Nerventransplantaten.<sup>1</sup> Das hei&szlig;t, das f&uuml;r die Wiederherstellung ben&ouml;tigte Nervenst&uuml;ck wird vom Patienten selbst gewonnen. Die Nachteile dieses Vorgehens, wie Sensibilit&auml;tsst&ouml;rungen an der Hebestelle, zus&auml;tzliche Narben und prolongierte Operationszeit, f&uuml;hrten dazu, neue Herangehensweisen und Alternativen f&uuml;r die sogenannten Autografts zu erforschen. Mittlerweile gibt es eine Vielfalt von biologischen und synthetischen Nerven&uuml;berbr&uuml;ckungen, sogenannte Konduite und allogene, von Organspendern gewonnene Nerventransplantate. Ohne spezielle Behandlung der Spendernerven verursachen die Nerventransplantate Absto&szlig;ungsreaktionen, die auch trotz immunsuppressiver Therapie auftreten k&ouml;nnen.<sup>2</sup> Entwicklungen in der medizinischen Technologie erm&ouml;glichen die Dezellularisierung der Nerventransplantate, wobei die H&uuml;llstrukturen der Nerven bestehen bleiben, aber die Immunogenit&auml;t herabgesetzt wird und die Patienten somit keine immunsuppressive Therapie brauchen.<sup>3</sup> In den letzten Jahren kristallisierten sich humane azellul&auml;re Allografts als die am vielversprechendste Alternative zu Autografts heraus.<sup>4</sup> Verglichen mit traditionellen Methoden, erm&ouml;glicht die Nervenrekonstruktion mit azellul&auml;ren Allografts die Vermeidung von Hebemorbidit&auml;ten und eine k&uuml;rzere OP-Zeit.</p> <h2>Allografts als Alternative f&uuml;r Autografts</h2> <p>Die Vorteile einer Nervenwiederherstellung mit autologen Nerven sind gut erforscht. Sie unterst&uuml;tzen die Nervenregeneration mit den notwendigen Komponenten inklusive intakter Nervenarchitektur und Mediatoren, die es den Axonen erm&ouml;glichen, zielgerichtet auszusprossen, was zu einer Reinnervation der deinnervierten Organe f&uuml;hrt. Sensibilit&auml;tsst&ouml;rungen, Schmerzen, Neurome im Bereich der Hebestelle, zus&auml;tzliche Narben, limitierte Verf&uuml;gbarkeit und verl&auml;ngerte OP-Dauer gaben den Ansto&szlig; zur Erforschung von Alternativen. Denaturierte Nervenallografts k&ouml;nnten eine L&ouml;sung f&uuml;r diese unerw&uuml;nschten Morbidit&auml;ten darstellen. Von Totspendern gewonnene Nerven werden durch spezielle enzymatische, chemische Prozesse und durch radioaktive Bestrahlung aufgearbeitet, um die Immunogenit&auml;t aufzuheben und so eine Transplantatabsto&szlig;ung zu verhindern. Trotz dieser Vorbehandlung beh&auml;lt das Transplantat die f&uuml;r die Nervenregeneration notwendigen Bestandteile in Makro- und Mikrostruktur. Ein intaktes Epi- und Perineurium als makrostrukturelle H&uuml;llstrukturen erm&ouml;glichen dem Chirurgen, das Allograft in gleicher Art und Weise wie das Autograft in den Defekt zu interponieren. Mikrostrukturelle Komponenten wie das erhaltene Endoneurium geben den aussprossenden Axonen eine Leitstruktur, um gerichtet auswachsen und so das Endorgan erreichen zu k&ouml;nnen.<sup>5</sup> In Studien und auch im klinischen Alltag erweist sich die Nerventransplantation mit Allografts als sehr vielversprechend. In &uuml;ber 87 % der behandelten oberen Extremit&auml;ten kommt es zu einer bedeutenden funktionellen Regeneration der betroffenen Gliedma&szlig;e.<sup>6</sup> Au&szlig;erdem zeigte sich in Tierversuchen eine zu Autografts &auml;hnliche Revaskularisierung und mikro- und makrostrukturelle Integration der Transplantate.<sup>7</sup> Ein gro&szlig;er Vorteil bei der Verwendung von vorbehandelten Spendernerven ist eine gro&szlig;e Verf&uuml;gbarkeit der Allografts in verschiedenen Kalibern und L&auml;ngen. Ein ad&auml;quates Interponat kann f&uuml;r den jeweils betroffenen Nerv, vom Digitalnerv bis zum Hauptstamm des Nervus medianus, ulnaris oder radialis, verwendet werden. Bei Rekonstruktion eines Nervenhauptstammes ist bei Verwendung von autologen Transplantaten die Interposition von mehreren St&uuml;cken, sogenannten Kabeln, notwendig, um den gesamten Durchmesser des gesch&auml;digten Nervs wiederherstellen zu k&ouml;nnen. Nur dieser Zugang erm&ouml;glicht die Regeneration aller durchtrennten Nervenaxone. Bei Anwendung eines Allografts werden dem betroffenen Patienten ein weiterer Eingriff zur Hebung eines autologen Transplantates und die damit verbundenen Risiken f&uuml;r Komplikationen erspart. Dadurch kann die Operationszeit deutlich gesenkt werden.</p> <h2>Klinischer Einsatz von Allografts</h2> <p>Patienten mit ausgepr&auml;gten Nervenl&auml;sionen und damit verbundenen funktionellen Einschr&auml;nkungen der betroffenen Extremit&auml;t m&uuml;ssen genau abgekl&auml;rt werden. Nach anamnestischer Erhebung des Verletzungshergangs, klinischer Untersuchung und Diagnostik inklusive elektrophysiologischer Untersuchungen mittels EMG und NLG sowie bildgebender Ma&szlig;nahmen kann die OP-Indikation gestellt werden. Ist die &Uuml;berbr&uuml;ckung l&auml;ngerer Nervendefekte unvermeidlich, so ist es m&ouml;glich, neben der bisher standardm&auml;&szlig;ig durchgef&uuml;hrten autologen Nerventransplantation die L&auml;sion mittels eines aufgearbeiteten Leichennervs zu rekonstruieren. Pr&auml;operativ wird das Ausma&szlig; des Nervendefekts durch erhobene diagnostische Befunde eingesch&auml;tzt und ad&auml;quate allogene Nerventransplantate werden bereitgestellt. Bei der OP werden standardm&auml;&szlig;ig die betroffenen Nervenenden neurolysiert und so weit r&uuml;ckgek&uuml;rzt, bis unverletztes Nervengewebe vorliegt und die Faszikelgruppen identifiziert werden k&ouml;nnen. Der allogene Spendernerv wird nach Vorgaben des Herstellers mit Kochsalzl&ouml;sung aufbereitet, unter Mikroskopsicht in den Defekt eingepasst und mit feinen N&auml;hten koaptiert (Abb. 1&ndash;4). Die so eingebrachten nervalen H&uuml;llstrukturen erm&ouml;glichen es dem Nerv, seine Axone wieder zu ihren Endorganen gerichtet auswachsen zu lassen. Dieser Prozess dauert je nach H&ouml;he des Nervendefektes an der verletzten Extremit&auml;t Monate bis Jahre. In dieser Phase ist es wichtig, regelm&auml;&szlig;ige Verlaufskontrollen klinischer und elektrophysiologischer Funktionen sowie intensive ergotherapeutische Ma&szlig;nahmen durchzuf&uuml;hren. Nur so kann eine m&ouml;glichst zufriedenstellende Wiedergewinnung der verlorenen Funktion gew&auml;hrleistet werden. Aus eigener Erfahrung k&ouml;nnen bei Patienten mit pr&auml;operativ kompletter An&auml;sthesie im Versorgungsgebiet des N. medianus, nach erfolgreicher Nervenrekonstruktion mit Allograft, ann&auml;hernd normale Zwei-Punkt-Diskriminationswerte von 4mm im Bereich der Fingerbeeren erzielt werden. Dieser Umstand erm&ouml;glicht es den behandelten Patienten, ihren allt&auml;glichen manuellen T&auml;tigkeiten wieder nachgehen zu k&ouml;nnen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Derma_1703_Weblinks_s54.jpg" alt="" width="1417" height="1386" /></p> <h2>Konklusion</h2> <p>In der Behandlung von ausgepr&auml;gten Nervenverletzungen mit der Notwendigkeit von Nerventransplantaten etabliert sich in den letzten Jahren die Verwendung von azellul&auml;ren Leichennerven als vielversprechende Alternative zur bisher standardm&auml;&szlig;ig durchgef&uuml;hrten Rekonstruktion mit Eigennerven. Vorteile liegen in der &auml;u&szlig;erst gro&szlig;en Verf&uuml;gbarkeit der allogenen Transplantate in verschiedenen Gr&ouml;&szlig;en, der guten chirurgischen Handhabung und der Vermeidung der Entnahme eines eigenen Spendernervs mit assoziierten Hebemorbidit&auml;ten und Verl&auml;ngerung der OP-Dauer. Diese neue Herangehensweise, um Nervendefekte zu &uuml;berbr&uuml;cken, erm&ouml;glicht eine gute Regeneration von funktionellen Nervenl&auml;sionen. Abzuwarten sind Langzeit&shy;ergebnisse, die Anwendung dieser Technik in gr&ouml;&szlig;eren Fallzahlen und Zentren, um die sehr vielversprechenden Ergebnisse auch zu best&auml;tigen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Dellon AL, Mackinnon SE: Basic scientific and clinical applications of peripheral nerve regeneration. Surg Annu 1988; 20: 59-100 <strong>2</strong> Mackinnon SE, Hudson AR: Clinical application of peripheral nerve transplantation. Plast Reconstr Surg 1992; 90: 695-9 <strong>3</strong> Hudson TW et al.: Optimized acellular nerve graft is immunologically tolerated and supports regeneration. Tissue Eng 2004; 10: 1641-51 <strong>4</strong> Yang LM et al.: Human peripheral nerve-derived scaffold for tissue-engineered nerve grafts: histology and biocompatibility analysis. J Biomed Mater Res B Appl Biomater 2011; 96B: 25-33 <strong>5</strong> Avance nerve graft &ndash; instructions for use, available online at <a href="http://www.axogeninc.com">www.axogeninc.com</a> <strong>6</strong> Brooks et al.: Processed nerve allografts for peripheral nerve reconstruction: A multicenter study of utilization and out&shy;comes in sensory, mixed, and motor nerve reconstructions. Microsurgery 2012; 32: 1-14 <strong>7</strong> Whitlock EL et al.: Processed allografts and type I collagen conduits for repair of peripheral nerve gaps. Muscle Nerve 2009; 39: 787-99</p> </div> </p>
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