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Lipödem-Behandlungsalgorithmus in der klinischen Praxis
Jatros
Autor:
OA Dr. Peter Mallinger
Leiter der Lipödemsprechstunde<br> Klinikum Klagenfurt<br> E-Mail: peter.mallinger@kabeg.at
30
Min. Lesezeit
12.09.2019
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<p class="article-intro">Immer noch besteht viel Unklarheit bezüglich der Diagnosestellung und Behandlung des Lipödems, und dies auch unter Experten auf diesem Gebiet. Die einzige wirkliche Evidenz betrifft letztlich, trotz vieler wissenschaftlicher Annäherungen an das Thema, ein Defizit an Wissen über eine offensichtliche Fehlsteuerung von diätresistenten Fettzellen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Diagnose durch den Lymphologen und Erstellen eines individuellen Behandlungsplans mit sämtlichen Begleiterkrankungen</li> <li>Bei konservativem Therapieversagen Liposuktion in Tumeszenztechnik</li> <li>Postoperativ konservative Weiterbetreuung im Rahmen von ambulanter oder stationärer Rehabilitation</li> <li>Ggf. ergänzende plastischchirurgische Maßnahmen (Straffungsoperationen)</li> </ul> </div> <p>Bewusst möchten wir in diesem Artikel nicht auf bildgebende, histologische, genetische oder andere Verfahren eingehen, die das Bestehen eines Lipödems eventuell untermauern könnten.</p> <h2>Diagnosestellung</h2> <p>Die von Allen und Hines 1940 beschriebenen Symptome wie Spannungsschmerzen, Berührungsempfindlichkeit und Hämatomneigung bilden für uns in Kombination mit den unproportionalen Fettgewebseinlagerungen immer noch die Grundsäule in der Diagnosestellung. Patienten, die in der Lipödemsprechstunde an der Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie in Klagenfurt vorstellig werden, sind größtenteils bereits durch Experten der Lymphklinik Wolfsberg diagnostiziert. Patienten, die diesen Weg noch nicht beschritten haben, werden in Wolfsberg vorgestellt. Dort wird eine leitliniengerechte Therapie eingeleitet.<br /> Da jedes Verteilungsmuster des Fettgewebes an den Extremitäten möglich ist, tendieren wir zu einer beschreibenden Typisierung entsprechend den betroffenen Arealen. Die Stadieneinteilung vom Stadium I mit subkutanen Knötchen bis zum Stadium III mit deformierten Hautlappen ist sicher sinnvoll, jedoch ungenau.<br /> Bei vielen Patienten besteht gleichzeitig eine Adipositas. Die hierzu rezent in der Literatur veröffentlichten Prozentzahlen sind äußerst variabel. Da die diätresistente, schmerzhafte Fettgewebseinlagerung an den Extremitäten verständlicherweise zu einer Bewegungseinschränkung aufgrund der Schmerzhaftigkeit führt, ist eine Gewichtszunahme der Patienten vorprogrammiert. „Waist/hip ratio“ oder „waist/height ratio“ sind zusätzlich sinnvolle Parameter, um Stammfettsucht und Lipödem, die nebeneinander bestehen können, klinisch voneinander unterscheiden zu können.</p> <h2>Therapieempfehlungen</h2> <p>Bei Lipödempatienten mit ausgeprägter Adipositas ist es sicher auch sinnvoll, nach Ausschöpfung konservativer Maßnahmen den Patienten frühzeitig einer bariatrischchirurgischen Behandlung zuzuführen.<br /> Wenn diesbezüglich kein Handlungsbedarf besteht, ist die Liposuktion, nach Ausschöpfung der komplexen physikalischen Entstauungstherapie (KPE), die Therapie der Wahl. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse ist bei ausgeprägtem Lipödem möglich und wird momentan nach konservativem Therapieversagen (Verschlechterung trotz nachweislich konsequenter KPE) nach Prüfung im Einzelfall gewährt. Eine Verpflichtung zur Kostenübernahme besteht für die Krankenkasse jedoch auch in diesem Fall nicht. Im Schnitt ist bei ausgeprägten Lipödemen von 2–3 Liposuktionssitzungen auszugehen, bis das gewünschte Resultat erreicht ist. Die mittlere Eingriffsdauer beträgt 2–4 Stunden. Die Liposuktion muss aus unserer Sicht in Tumeszenztechnik durchgeführt werden. Spezielle Kanülen und Techniken, die sich im Detail doch von der ästhetischen Liposuktion unterscheiden, werden angewandt. Die Liposuktion selbst wird aufgrund der Dauer und des Ausprägungsgrades im Klinikum meist in Narkose durchgeführt, kann jedoch in vielen Fällen auch in Sedoanalgesie oder in reiner Tumeszenzlokalanästhesie durchgeführt werden. Oft praktiziertes dogmatisches Vorbringen der „Methode der Wahl“ ist wissenschaftlich nicht zu belegen und spiegelt meist nur persönliche Erfahrungswerte im Rahmen einer personifizierten Sicht der Medizin wider.<br /> Postoperativ sind nach großen Liposuktionen 1–3 Pflegetage stationär vorgesehen. Dies ist bei Saugungen von manchmal über 10 Litern pro Sitzung aus unserer Sicht mehr als angemessen. Selbstverständlich kann ein solcher Eingriff bei geringerem Ausprägungsgrad auch ambulant durchgeführt werden. Viele Patienten werden nach der Liposuktion auch direkt im Rahmen einer lymphologischen Akutrehabilitation an der Lymphklink des LKH Wolfsberg betreut. Die Indikation diesbezüglich wird durch den Lymphologen präoperativ gestellt und der OP- sowie der Rehabilitationstermin werden mit uns abgestimmt.<br /> Eine komplexe physikalische Entstauungstherapie ist auch nach Abschluss der Liposuktionsbehandlungen dringend angeraten. Patienten mit ausgeprägtem Lipödem und über Jahre bestehenden Symptomen in Aussicht zu stellen, diese sei nach erfolgter Behandlung nicht mehr nötig, führt zu überhöhten Erwartungen und letztlich zu Enttäuschung der Patienten und ist aus unserer Sicht daher nicht seriös. Eine deutliche Reduktion der Frequenz der Lymphdrainagen und der täglichen Tragedauer der Kompressionsstrümpfe ist jedoch auf alle Fälle realistisch und konnte auch im Rahmen einer retrospektiven Studie nachgewiesen werden (Dadras et al., 2017).</p> <h2>Liposuktion praktisch nicht abrechenbar</h2> <p>Weiters muss angemerkt werden, dass die Liposuktion im Leistungskatalog des LKFSystems nicht abgebildet und daher praktisch nicht abrechenbar ist. Die Bepunktung erfolgt ausschließlich über die Diagnose. Auch die Abrechnung über private Krankenversicherungen spiegeln in keinster Weise den großen, chirurgischen Aufwand wider.</p> <h2>Fazit</h2> <p>Mit über 100 stationären Lipödembehandlungen im Jahr konnte die Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie des Klinikums Klagenfurt über die letzten Jahre vielen Patienten, bei denen die konservative Therapie versagt hatte, erfolgreich behandeln. Fast alle Patienten wurden vor der operativen Behandlung in der Lymphklinik Wolfsberg diagnostiziert und vorbildlich vorund nachbetreut.<br /> Abschließend ist zusammenfassend anzumerken, dass eine frühzeitige Diagnose und richtige Behandlung beim Lipödem essenziell sind und den Leidensweg der Patienten deutlich verkürzen können. Eine frühzeitige Liposuktion ohne komplexe physikalische Entstauungstherapie wird von vielen Patienten gefordert und wäre in vielen Fällen wohl auch sinnvoll. Aufgrund der vielen Unklarheiten in Bezug auf die exakte Diagnose ist jedoch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, dass die hierfür anfallenden Kosten gänzlich durch die öffentliche Hand getragen werden können.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Derma_1903_Weblinks_j_derma_1903_s19_abb1_mallinger.png" alt="" width="820" height="691" /></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<ul> <li>Dadras M et al.: Liposuction in the treatment of lipedema: A longitudinal study. Arch Plast Surg 2017; 44(4): 324-31</li> <li>Weitere Literatur beim Verfasser</li> </ul>
</div>
</p>
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