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«Sprachbarrieren können gravierende Folgen haben»

Michaela Albl-Mikasa, Professorin für Dolmetschwissenschaften an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), spricht im Interview über Sprachbarrieren im Gesundheitswesen und Lösungsansätze.

Diese Woche hat die Tagung «Diagnosesicherheit und Rechtssicherheit durch barrierefreie Kommunikation» in Zürich stattgefunden. Welche Rolle spielt dieses Thema derzeit an der ZHAW?
An der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften laufen derzeit zwei Projekte zum Thema Sprachbarrieren im Gesundheitswesen. Einerseits wird bei uns am Institut an der Plattform «Digilinguo» gearbeitet. Dabei geht es darum, öffentlichen Organisationen wie Spitälern zu helfen, digitale Tools und künstliche Intelligenz sinnvoll einzusetzen, um Sprachbarrieren zu überwinden. Für ein zweites Projekt (Digitools) wird derzeit an einer Studie für das Bundesamt für Gesundheit gearbeitet, wo der Einsatz einer maschinellen Übersetzungsapp im klinischen Kontext evaluiert wird. Schliesslich geht es im AMIT-Projekt darum, die Anwendung unterschiedlicher Dolmetschmodi – vor Ort, per Video oder Telefon sowie auch Übersetzungsapps – in unterschiedlichen Situationen im Spital zu eruieren und auf Basis der Ergebnisse offizielle Empfehlungen zu formulieren. Hier führen wir gerade Umfragen durch. Das Projekt stösst jetzt schon auf grosses Interesse und wurde diese Woche von unserem Projektpartner Bhaasha an der Tagung am 24. März in Zürich vorgestellt.

Was wird aktuell in der Schweiz getan, um Sprachbarrieren im System zu überwinden?
Meiner Erfahrung nach wird in der Schweiz mehr getan als in anderen Ländern. Einerseits gibt es das «Swiss Health Network for Equity», das aus dem damaligen Projekt der «Migrant Friendly Hospitals» entstanden ist und genau solche Herausforderungen bewältigen möchte. Weiters gibt es Planstellen für Angestellte, die dabei unterstützen, mit Sprachbarrieren besser umgehen zu können. In der Schweiz gibt es ausserdem unterschiedliche Beratungsangebote wie Plattformen mit Broschüren und Ratgebern in mehreren Sprachen. Gut finde ich auch das Ärzt:innen-Verzeichnis, wo steht, welche Sprachen die Mediziner:innen beherrschen. Zusätzlich bietet der Schweizer Verein «Interpret» Qualitätssicherung bei interkulturellem Dolmetschen und somit auch Zugang zu regionalen Vermittlungsstellen in diesem Bereich. Hier ist die Schweiz federführend.

Wie äussern sich Sprachbarrieren im Gesundheitswesen?
Grundsätzlich äussern sich Sprachbarrieren im schweizerischen Gesundheitswesen auf die gleiche Art und Weise wie überall – es kommt zu Verständnisproblemen und einer stark eingeschränkten Kommunikation. Gerade wenn es um Gesundheit geht, kann das gravierende Auswirkungen haben, weil Sprachbarrieren nicht nur den Beziehungsaufbau, sondern auch die Therapie und Therapietreue und damit gleichzeitig die Genesung von Patient:innen negativ beeinflussen können. Wir haben dazu sowohl Ärzt:innen als auch Pflegepersonal und Hebammen befragt. Das grösste Problem ist, dass einerseits Anliegen der Patient:innen nicht verstanden werden und umgekehrt für die Behandlung wichtige Infos nicht bei den Patient:innen ankommen, weshalb Anweisungen nicht befolgt werden können und Therapieziele nicht erreicht werden. Das führt zu negativen Emotionen wie Frust und Unsicherheit – auf beiden Seiten.

Entstehen Sprachbarrieren auch durch die Anwendung medizinischen Fachjargons?
Mein Eindruck ist, dass die Barrieren hauptsächlich aufgrund der Migrationsbiografie von Patient:innen entstehen. Wenn sich Ärzt:innen in einer solchen Situation wiederfinden, passen sie ihre Kommunikation, ihre Sprache ja meist auch an ihr Gegenüber an. Aber natürlich gibt es Personal, das sich schwer tut, Fachjargon abzulegen, das gibt es auch. Unsere Umfragen zeigen aber dennoch, dass die Hauptbarrieren dadurch entstehen, dass Patient:innen die Sprache des Landes nicht oder nicht ausreichend beherrschen. Bei komplexeren Themen wie Diagnose, Therapie, Einverständniserklärung und so weiter sind Verständnisschwierigkeiten noch ausgeprägter.

Werden solche Angebote vom Gesundheitspersonal gut angenommen?
Das Bundesamt für Gesundheit hat eine Zeit lang einen Telefon-Dolmetsch-Dienst für Ärzt:innen angeboten, der ist aber hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Was heutzutage beliebter ist, ist das Videodolmetschen. Es fehlt nur leider oft das Bewusstsein unter dem Gesundheitspersonal, welche öffentlichen und kommerziellen Angebote es bereits gibt. Oder es gibt keine finanziellen Ressourcen dafür. Hier sollten mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden sowie mehr Aufklärung stattfinden. (Das Interview führte Katrin Grabner.)

© ZHAW

Prof. Dr. Michaela Albl-Mikasa
Professorin für Dolmetschwissenschaft
an der Zürcher Hochschule für
Angewandte Wissenschaften

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