© Getty Images/iStockphoto

ÖGPB-Tagung 2018

Depressionsbehandlung: Einblicke und Ausblicke

<p class="article-intro">An der Jahrestagung der ÖGPB im vergangenen November referierte Prof. (em.) Dr. med. Edith Holsboer-Trachsler, Extraordinaria für Stress- und Traumaforschung der Universität Basel, über Trends in der Therapie der Depression. Als Grundlage diente ihr die Entwicklung der schweizerischen Behandlungsempfehlungen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Der Behandlungserfolg unter einer antidepressiven Therapie ist gut, aber leider noch nicht ausreichend. Ein Drittel der Patienten leidet trotz mehrerer Therapieversuche weiterhin unter Therapieresistenz.<sup>1, 2</sup> &laquo;Daran k&ouml;nnen auch die Weiterentwicklungen der Psychopharmaka und die neuen Erkenntnisse aus der Depressionsforschung nichts &auml;ndern. Wir m&uuml;ssen zugeben, dass zu wenige Patienten von der Therapie mit Antidepressiva profitieren, es bis zur Response viel zu lange dauert und die Nebenwirkungsrate hoch ist&raquo;, fasst Prof. Holsboer-Trachsler die Situation zusammen. &laquo;Wir w&auml;hlen Antidepressiva nach bestem Wissen und Gewissen aus. Sowohl syndromorientiert als auch nebenwirkungsorientiert beziehen wir in unsere Wahl der medikament&ouml;sen Therapie die Art der Depression, Erfolg oder Misserfolg vorheriger Behandlungsversuche und Blutplasmaspiegel in die Entscheidung mit ein.&raquo; Dies reicht aber in vielen F&auml;llen nicht aus, um zu einem Therapieerfolg zu f&uuml;hren.</p> <h2>Mittels Gentest zur personalisierten Behandlung</h2> <p>Die Guidelines zur biologischen Behandlung der unipolaren Depression wurden 2002 von der World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) ver&ouml;ffentlicht.<sup>3, 4</sup> Es folgten in vielen europ&auml;ischen L&auml;ndern nationale Guidelines, so auch in der Schweiz.<sup>5&ndash;8</sup><br /> Die &Uuml;berarbeitung der schweizerischen Behandlungsempfehlungen 2016 brachte ein weltweites Novum: die Einf&uuml;hrung des ABCB1-Gentests. Diese Empfehlungen sehen bei schwerer Depression neben der Psychotherapie eine Pharmakotherapie vor.<sup>7</sup> Tritt nach den ersten drei bis vier Wochen kein Behandlungserfolg ein, sollte ein therapeutisches &laquo;drug monitoring&raquo; durchgef&uuml;hrt werden. Dar&uuml;ber hinaus empfehlen die schweizerischen Guidelines die Durchf&uuml;hrung eines ABCB1-Gentests.</p> <h2>Therapieresistenz: Liegt die Ursache in der Blut-Hirn-Schranke?</h2> <p>ABCB1 kodiert f&uuml;r das P-Glycoprotein (P-Gp), ein sogenanntes &laquo;W&auml;chtermolek&uuml;l &raquo;, welches das Eindringen vieler Substanzen (ABCB1-Substrate) in das Gehirn verhindert. Viele Antidepressiva sind P- Gp-Substrate, nur wenige sind nicht von diesem Transportprotein abh&auml;ngig (Tab. 1). P-Gp kann in vielen verschiedenen Varianten (Polymorphismen) vorliegen &ndash; je nach Polymorphismus werden die Substrate besser oder schlechter ins Gehirn transportiert. Jeder Mensch weist also individuelle Charakteristika der Blut-Hirn- Schranke auf.<br /> Die Bestimmung der Durchl&auml;ssigkeit der Blut-Hirn-Schranke beim Patienten basierend auf den bekannten Polymorphismen erm&ouml;glicht eine individualisierte Therapie. Spricht ein Patient auf eine 2- bis 4-w&ouml;chige Behandlung mit einem Antidepressivum nicht oder nur teilweise an, kann das Ergebnis eines ABCB1-Gentests als Entscheidungshilfe f&uuml;r die Weiterf&uuml;hrung der Therapie mit Antidepressiva herangezogen werden.<sup>9</sup><br /> Liegt ein Polymorphismus vor, der f&uuml;r eine erleichterte Passage spricht, kann man erwarten, dass die Substanz in das Gehirn gelangt und der Patient auf die Therapie anspricht. Vorausgesetzt wird dabei, dass ein passendes Antidepressivum syndromorientiert ausgew&auml;hlt wurde. Ergibt der Gentest f&uuml;r einen Patienten einen Polymorphismus, der f&uuml;r eine verminderte Passage spricht, und wird dieser Patient mit einem P-Gp-Substrat behandelt, spricht er wahrscheinlich auf die Behandlung nicht wie gew&uuml;nscht an. Bei einer Teilresponse k&ouml;nnen eine Dosissteigerung oder eine Augmentationsstrategie zielf&uuml;hrend sein. Spricht der Patient jedoch innerhalb von drei bis vier Wochen &uuml;berhaupt nicht an, sehen die schweizerischen Behandlungsempfehlungen den Wechsel auf ein anderes Antidepressivum oder allenfalls ein Non-Substrat (Tab. 1) vor.<sup>9</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Neuro_1902_Weblinks_lo_neuro_1902_s38_tab1.jpg" alt="" width="300" height="711" /></p> <h2>H&ouml;here Remissionsrate durch prospektiven Gentest</h2> <p>Am Zentrum f&uuml;r Affektive, Stress- und Schlafst&ouml;rungen (ZASS) in Basel wurden 46 Patienten auf das Vorliegen eines P-Gp-Polymorphismus untersucht. Dabei zeigte der ABCB1-Gentest bei 32 Personen einen Polymorphismus, verbunden mit einer verminderten Passage, und bei nur neun Patienten einen Polymorphismus, assoziiert mit einer erleichterten Passage. Bei f&uuml;nf Patienten konnte keine Aussage getroffen werden. Dies bedeutet, dass die erste Gruppe, jene mit einer verminderten Passage, wahrscheinlich eine h&ouml;here Dosierung des Antidepressivums oder eine Kombinationstherapie ben&ouml;tigt. Bei der zweiten Gruppe w&uuml;rde man hingegen ein gutes Ansprechen auf die Therapie mit einem Antidepressivum erwarten.<br /> Studien zeigten, dass das Wissen um den ABCB1-Polymorphismus der Patienten sich positiv auf den Behandlungserfolg der medikament&ouml;sen Therapie mit einem Antidepressivum auswirken kann. War dem behandelnden Arzt vor der Entscheidung f&uuml;r eine bestimmte Therapie das Testergebnis bekannt, wiesen die Patienten bei der Entlassung insgesamt eine h&ouml;here Remissionsrate auf als Patienten, die zu Therapiebeginn nicht getestet worden waren.<sup>9</sup><br /> &laquo;Ein prospektiver ABCB1-Gentest f&uuml;hrte bei Entlassung der Patienten zu einer deutlich h&ouml;heren Remissionsrate, weil man basierend auf dem Testergebnis das Antidepressivum und das weitere Vorgehen gezielt ausw&auml;hlen kann&raquo;, erkl&auml;rte Prof. Holsboer-Trachsler. 16 grosse pharmakogenetische Studien zu ABCB1-Polymorphismus und antidepressiver Wirksamkeit haben mittlerweile diese Befunde gut belegen k&ouml;nnen.<sup>10</sup></p> <h2>Neue Forschungsans&auml;tze</h2> <p>Um neue Therapieoptionen zur Depressionsbehandlung zu entwickeln, wird in der Schweiz intensiv auf dem Gebiet des &laquo;drug repurposing&raquo; geforscht. &bdquo;Drug repurposing&raquo; (auch &laquo;drug repositioning&raquo; oder &laquo;drug reprofiling&raquo;) ist eine zukunftstr&auml;chtige Sparte auf dem Gebiet der Wirkstoffentwicklung. Sie beschreibt einen Prozess, bei dem bereits existierende Wirkstoffe zur Behandlung von Erkrankungen herangezogen werden, die sich von dem urspr&uuml;nglichen Behandlungszweck unterscheiden. Der Vorteil dieser Strategie liegt in der Reduktion von Entwicklungskosten und Zeitersparnis bis zur Markteinf&uuml;hrung, da validierte Sicherheitsprofile und pharmakokinetische Profile bereits vorliegen.<br /> Gleich mehrere Substanzen werden aktuell in Studien auf ihre antidepressive Wirkung gepr&uuml;ft. Ketamin ist eines der Paradebeispiele f&uuml;r &laquo;drug repurposing&raquo;. Erstmals hergestellt in den 1960er-Jahren, erhielt es 1970 die Zulassung als An&auml;sthetikum durch die FDA. Studien zeigten nun, dass Ketamin in die Konnektivit&auml;t und Neuroplastizit&auml;t eingreift und antidepressiv wirksam zu sein scheint.<sup>11</sup><br /> F&uuml;r Psilocybin wurde an der Universit&auml;tsklinik Z&uuml;rich gezeigt, dass es die Empathie verst&auml;rken und den emotionalen Schmerz, den ein Mensch empfindet, wenn er aus einer Gruppe ausgeschlossen wird (&laquo;exclusion pain&raquo;), reduzieren kann.<sup>12, 13</sup> Es wird daher vermutet, dass Psilocybin ebenfalls in der Behandlung der Depression wirksam sein kann. Ebenso wird an DMT (Dimethyltryptomin) und LSD zur Behandlung der Depression geforscht.<br /> F&uuml;r Holsboer-Trachsler sind diese Forschungserkenntnisse in zweierlei Hinsicht bedeutsam: &laquo;Ich bin &uuml;berzeugt, dass uns diese Substanzen nicht nur neue Therapiem&ouml;glichkeiten er&ouml;ffnen, sondern auch neue Ans&auml;tze, um die Wirkmechanismen der Depressionsbehandlung, die wir ja im Detail noch nicht kennen, zu entschl&uuml;sseln.&raquo;</p> <p><br />Lesen sie auch: <a href="https://at.universimed.com/fachthemen/1000001526">Kinder- und Jugendpsychiater tagen auf geschichtstr&auml;chtigem Boden</a></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 21. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie, 21.–22. November 2018, Wien </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Hennings JM et al.: J Psyciatr Res 2009; 43: 215-29 <strong>2</strong> Rush AJ et al.: Am J Psychiatry 2006; 163(11): 1905-17 <strong>3</strong> Bauer MS et al.: World J Biol Psychiatr 2002b; 3: 5-43 <strong>4</strong> Bauer MS et al.: World J Biol Psychiatr 2002b; 3: 69-86 <strong>5</strong> Holsboer-Trachsler E et al.: Schweiz Med Forum 2010; 802-9 <strong>6</strong> Holsboer-Trachsler E et al.: Schweiz Med Forum 2010; 818-22 <strong>7</strong> Holsboer-Trachsler E et al.: Schweiz Med Forum 2016; 16(35): 716-24 <strong>8</strong> Holsboer-Trachsler E et al.: Schweiz Med Forum 2016; 16(36) <strong>9</strong> Holsboer F et al.: Info Neurologie &amp; Psychiatrie 2016; 14(6): 36-9 <strong>10</strong> Breitstein B et al.: Am J Med Genet 2015; Part B 9999B: 1-10 <strong>11</strong> Zanos P et al.: CNS Drugs 2018; 32(3): 197-227 <strong>12</strong> Pokorny T et al.: Int J Neuropsychopharm 2017; 20(9): 747-57 13 Preller et al.: PNAS 2016; 113: 5119-242</p> </div> </p>
Back to top