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Depressionsbehandlung: Einblicke und Ausblicke
Leading Opinions
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05.06.2019
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<p class="article-intro">An der Jahrestagung der ÖGPB im vergangenen November referierte Prof. (em.) Dr. med. Edith Holsboer-Trachsler, Extraordinaria für Stress- und Traumaforschung der Universität Basel, über Trends in der Therapie der Depression. Als Grundlage diente ihr die Entwicklung der schweizerischen Behandlungsempfehlungen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Der Behandlungserfolg unter einer antidepressiven Therapie ist gut, aber leider noch nicht ausreichend. Ein Drittel der Patienten leidet trotz mehrerer Therapieversuche weiterhin unter Therapieresistenz.<sup>1, 2</sup> «Daran können auch die Weiterentwicklungen der Psychopharmaka und die neuen Erkenntnisse aus der Depressionsforschung nichts ändern. Wir müssen zugeben, dass zu wenige Patienten von der Therapie mit Antidepressiva profitieren, es bis zur Response viel zu lange dauert und die Nebenwirkungsrate hoch ist», fasst Prof. Holsboer-Trachsler die Situation zusammen. «Wir wählen Antidepressiva nach bestem Wissen und Gewissen aus. Sowohl syndromorientiert als auch nebenwirkungsorientiert beziehen wir in unsere Wahl der medikamentösen Therapie die Art der Depression, Erfolg oder Misserfolg vorheriger Behandlungsversuche und Blutplasmaspiegel in die Entscheidung mit ein.» Dies reicht aber in vielen Fällen nicht aus, um zu einem Therapieerfolg zu führen.</p> <h2>Mittels Gentest zur personalisierten Behandlung</h2> <p>Die Guidelines zur biologischen Behandlung der unipolaren Depression wurden 2002 von der World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) veröffentlicht.<sup>3, 4</sup> Es folgten in vielen europäischen Ländern nationale Guidelines, so auch in der Schweiz.<sup>5–8</sup><br /> Die Überarbeitung der schweizerischen Behandlungsempfehlungen 2016 brachte ein weltweites Novum: die Einführung des ABCB1-Gentests. Diese Empfehlungen sehen bei schwerer Depression neben der Psychotherapie eine Pharmakotherapie vor.<sup>7</sup> Tritt nach den ersten drei bis vier Wochen kein Behandlungserfolg ein, sollte ein therapeutisches «drug monitoring» durchgeführt werden. Darüber hinaus empfehlen die schweizerischen Guidelines die Durchführung eines ABCB1-Gentests.</p> <h2>Therapieresistenz: Liegt die Ursache in der Blut-Hirn-Schranke?</h2> <p>ABCB1 kodiert für das P-Glycoprotein (P-Gp), ein sogenanntes «Wächtermolekül », welches das Eindringen vieler Substanzen (ABCB1-Substrate) in das Gehirn verhindert. Viele Antidepressiva sind P- Gp-Substrate, nur wenige sind nicht von diesem Transportprotein abhängig (Tab. 1). P-Gp kann in vielen verschiedenen Varianten (Polymorphismen) vorliegen – je nach Polymorphismus werden die Substrate besser oder schlechter ins Gehirn transportiert. Jeder Mensch weist also individuelle Charakteristika der Blut-Hirn- Schranke auf.<br /> Die Bestimmung der Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke beim Patienten basierend auf den bekannten Polymorphismen ermöglicht eine individualisierte Therapie. Spricht ein Patient auf eine 2- bis 4-wöchige Behandlung mit einem Antidepressivum nicht oder nur teilweise an, kann das Ergebnis eines ABCB1-Gentests als Entscheidungshilfe für die Weiterführung der Therapie mit Antidepressiva herangezogen werden.<sup>9</sup><br /> Liegt ein Polymorphismus vor, der für eine erleichterte Passage spricht, kann man erwarten, dass die Substanz in das Gehirn gelangt und der Patient auf die Therapie anspricht. Vorausgesetzt wird dabei, dass ein passendes Antidepressivum syndromorientiert ausgewählt wurde. Ergibt der Gentest für einen Patienten einen Polymorphismus, der für eine verminderte Passage spricht, und wird dieser Patient mit einem P-Gp-Substrat behandelt, spricht er wahrscheinlich auf die Behandlung nicht wie gewünscht an. Bei einer Teilresponse können eine Dosissteigerung oder eine Augmentationsstrategie zielführend sein. Spricht der Patient jedoch innerhalb von drei bis vier Wochen überhaupt nicht an, sehen die schweizerischen Behandlungsempfehlungen den Wechsel auf ein anderes Antidepressivum oder allenfalls ein Non-Substrat (Tab. 1) vor.<sup>9</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Neuro_1902_Weblinks_lo_neuro_1902_s38_tab1.jpg" alt="" width="300" height="711" /></p> <h2>Höhere Remissionsrate durch prospektiven Gentest</h2> <p>Am Zentrum für Affektive, Stress- und Schlafstörungen (ZASS) in Basel wurden 46 Patienten auf das Vorliegen eines P-Gp-Polymorphismus untersucht. Dabei zeigte der ABCB1-Gentest bei 32 Personen einen Polymorphismus, verbunden mit einer verminderten Passage, und bei nur neun Patienten einen Polymorphismus, assoziiert mit einer erleichterten Passage. Bei fünf Patienten konnte keine Aussage getroffen werden. Dies bedeutet, dass die erste Gruppe, jene mit einer verminderten Passage, wahrscheinlich eine höhere Dosierung des Antidepressivums oder eine Kombinationstherapie benötigt. Bei der zweiten Gruppe würde man hingegen ein gutes Ansprechen auf die Therapie mit einem Antidepressivum erwarten.<br /> Studien zeigten, dass das Wissen um den ABCB1-Polymorphismus der Patienten sich positiv auf den Behandlungserfolg der medikamentösen Therapie mit einem Antidepressivum auswirken kann. War dem behandelnden Arzt vor der Entscheidung für eine bestimmte Therapie das Testergebnis bekannt, wiesen die Patienten bei der Entlassung insgesamt eine höhere Remissionsrate auf als Patienten, die zu Therapiebeginn nicht getestet worden waren.<sup>9</sup><br /> «Ein prospektiver ABCB1-Gentest führte bei Entlassung der Patienten zu einer deutlich höheren Remissionsrate, weil man basierend auf dem Testergebnis das Antidepressivum und das weitere Vorgehen gezielt auswählen kann», erklärte Prof. Holsboer-Trachsler. 16 grosse pharmakogenetische Studien zu ABCB1-Polymorphismus und antidepressiver Wirksamkeit haben mittlerweile diese Befunde gut belegen können.<sup>10</sup></p> <h2>Neue Forschungsansätze</h2> <p>Um neue Therapieoptionen zur Depressionsbehandlung zu entwickeln, wird in der Schweiz intensiv auf dem Gebiet des «drug repurposing» geforscht. „Drug repurposing» (auch «drug repositioning» oder «drug reprofiling») ist eine zukunftsträchtige Sparte auf dem Gebiet der Wirkstoffentwicklung. Sie beschreibt einen Prozess, bei dem bereits existierende Wirkstoffe zur Behandlung von Erkrankungen herangezogen werden, die sich von dem ursprünglichen Behandlungszweck unterscheiden. Der Vorteil dieser Strategie liegt in der Reduktion von Entwicklungskosten und Zeitersparnis bis zur Markteinführung, da validierte Sicherheitsprofile und pharmakokinetische Profile bereits vorliegen.<br /> Gleich mehrere Substanzen werden aktuell in Studien auf ihre antidepressive Wirkung geprüft. Ketamin ist eines der Paradebeispiele für «drug repurposing». Erstmals hergestellt in den 1960er-Jahren, erhielt es 1970 die Zulassung als Anästhetikum durch die FDA. Studien zeigten nun, dass Ketamin in die Konnektivität und Neuroplastizität eingreift und antidepressiv wirksam zu sein scheint.<sup>11</sup><br /> Für Psilocybin wurde an der Universitätsklinik Zürich gezeigt, dass es die Empathie verstärken und den emotionalen Schmerz, den ein Mensch empfindet, wenn er aus einer Gruppe ausgeschlossen wird («exclusion pain»), reduzieren kann.<sup>12, 13</sup> Es wird daher vermutet, dass Psilocybin ebenfalls in der Behandlung der Depression wirksam sein kann. Ebenso wird an DMT (Dimethyltryptomin) und LSD zur Behandlung der Depression geforscht.<br /> Für Holsboer-Trachsler sind diese Forschungserkenntnisse in zweierlei Hinsicht bedeutsam: «Ich bin überzeugt, dass uns diese Substanzen nicht nur neue Therapiemöglichkeiten eröffnen, sondern auch neue Ansätze, um die Wirkmechanismen der Depressionsbehandlung, die wir ja im Detail noch nicht kennen, zu entschlüsseln.»</p> <p><br />Lesen sie auch: <a href="https://at.universimed.com/fachthemen/1000001526">Kinder- und Jugendpsychiater tagen auf geschichtsträchtigem Boden</a></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 21. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Biologische
Psychiatrie, 21.–22. November 2018, Wien
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Hennings JM et al.: J Psyciatr Res 2009; 43: 215-29 <strong>2</strong> Rush AJ et al.: Am J Psychiatry 2006; 163(11): 1905-17 <strong>3</strong> Bauer MS et al.: World J Biol Psychiatr 2002b; 3: 5-43 <strong>4</strong> Bauer MS et al.: World J Biol Psychiatr 2002b; 3: 69-86 <strong>5</strong> Holsboer-Trachsler E et al.: Schweiz Med Forum 2010; 802-9 <strong>6</strong> Holsboer-Trachsler E et al.: Schweiz Med Forum 2010; 818-22 <strong>7</strong> Holsboer-Trachsler E et al.: Schweiz Med Forum 2016; 16(35): 716-24 <strong>8</strong> Holsboer-Trachsler E et al.: Schweiz Med Forum 2016; 16(36) <strong>9</strong> Holsboer F et al.: Info Neurologie & Psychiatrie 2016; 14(6): 36-9 <strong>10</strong> Breitstein B et al.: Am J Med Genet 2015; Part B 9999B: 1-10 <strong>11</strong> Zanos P et al.: CNS Drugs 2018; 32(3): 197-227 <strong>12</strong> Pokorny T et al.: Int J Neuropsychopharm 2017; 20(9): 747-57 13 Preller et al.: PNAS 2016; 113: 5119-242</p>
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