Alkoholabhängigkeit: Abstinenz als Leistung

Die Aufrechterhaltung der Abstinenz als motivationale Höchstleistung

<p class="article-intro">Weite Teile der Allgemeinbevölkerung, aber auch Angehörige von Abhängigen können oft nicht nachvollziehen, warum es Personen mit Abhängigkeitserkrankungen offensichtlich schwerfällt, ihren Konsum langfristig einzuschränken. Neurobiologische und -kognitive Modelle der Abhängigkeitsentwicklung können ein vorurteilsfreies Verständnis von Abhängigkeitserkrankungen, Programme wie die «Leistungssensible Suchttherapie» eine wertschätzende Haltung gegenüber der Aufrechterhaltung des Abstinenzziels vermitteln, welches aus motivationspsychologischer Sicht eine enorme motivationale Leistung darstellt.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Knapp 50 % der deutschen Bev&ouml;lkerung betrachten Alkoholabh&auml;ngigkeit als Ausdruck einer &laquo;Willens- bzw. Charakterschw&auml;che&raquo;.</li> <li>Dabei wird oft &uuml;bersehen, dass sich die &Uuml;berwindung abh&auml;ngigen Verhaltens qualitativ von Willensleistungen in nicht abh&auml;ngigen Verhaltensbereichen unterscheidet.</li> <li>Daf&uuml;r verantwortlich sind unter anderem Sensibilisierungsprozesse im mesolimbischen Dopamin-System, welche zu einem &uuml;bersteigerten Anreizwert des Alkohols f&uuml;hren.</li> <li>Programme wie die &laquo;Leistungssensible Suchttherapie &raquo; nach Fleckenstein &amp; Heer (2013) helfen, bei den Betroffenen, deren Angeh&ouml;rigen, aber auch beim medizinischen Fachpersonal eine Wertsch&auml;tzung der Abstinenzleistung zu vermitteln.</li> </ul> </div> <h2>Wo ein Wille, da ein Weg &hellip;?</h2> <p>An der Entwicklung von Abh&auml;ngigkeitserkrankungen sind Ver&auml;nderungen in verschiedenen Regelsystemen des Gehirns beteiligt, die unter anderem auch f&uuml;r Lern-, Motivations- und Ged&auml;chtnisprozesse verantwortlich sind.<sup>1</sup> Trotz empirisch belegter Erkl&auml;rungsmodelle, die ein aufgekl&auml;rtes Verst&auml;ndnis von Abh&auml;ngigkeitserkrankungen vermitteln, wird die Diagnose Alkoholabh&auml;ngigkeit von einem betr&auml;chtlichen Teil der Gesellschaft immer noch als selbstverschuldet wahrgenommen. Wie eine bev&ouml;lkerungsrepr&auml;sentative Umfrage aus Deutschland zeigt, sind 45,1 % der Befragten der Meinung, Alkoholabh&auml;ngigkeit sei ein Ausdruck von Charakterschw&auml;che, und 35,1 % sehen die Erkrankung als eine Folge mangelnder Disziplin.<sup>2, 3</sup> Selbst unter medizinischen Fachpersonen sind negative Haltungen gegen&uuml;ber Patienten mit Alkoholabh&auml;ngigkeit verbreitet.<sup>4</sup></p> <p>&Uuml;ber die Ursachen der Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen Erkl&auml;rungsmodellen und subjektiven Krankheitstheorien ist bislang wenig bekannt. M&ouml;glicherweise spielt hierbei die Generalisierung eigener Alkoholerfahrungen eine wichtige Rolle. So werden Trinkereignisse von nicht abh&auml;ngigen Personen mit &uuml;berwiegend positiven Aspekten wie Geselligkeit, Entspannung, Genuss und guter Stimmung assoziiert.<sup>5, 6</sup> Trotz der positiven Assoziation gelingt es Personen mit unproblematischem Konsum, Trinkereignisse auf ausgew&auml;hlte Situationen zu beschr&auml;nken, auch um negativen sozialen, beruflichen und gesundheitlichen Konsequenzen vorzubeugen.<br /> Wenn unproblematische Trinker ihre eigene Motivlage auf alkoholabh&auml;ngige Personen generalisieren, k&ouml;nnte dies zur Annahme f&uuml;hren, Personen mit abh&auml;ngigem Alkoholkonsum w&uuml;rden sich bewusst f&uuml;r einen hochfrequenten Alkoholkonsum entscheiden und dabei die negativen Konsequenzen f&uuml;r sich und andere billigend in Kauf nehmen. Auch sollte ein bereits entstandenes Alkoholproblem unter G&uuml;ltigkeit des Grundsatzes &laquo;Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg&raquo; durch Willensanstrengung wieder ver&auml;nderbar sein. Sollte dies nicht gelingen, k&ouml;nnte man im Umkehrschluss folgern, der Betroffene h&auml;tte keine echte Absicht verfolgt oder zu wenig Anstrengung investiert. Auch k&ouml;nnte die Tatsache, dass die Ver&auml;nderung abh&auml;ngigen Verhaltens keine komplexen Handlungsabl&auml;ufe, sondern lediglich das Unterlassen eines Verhaltens erfordert, zur Schlussfolgerung verleiten, bei der Einhaltung abstinenten Verhaltens w&uuml;rde es sich um eine relativ &laquo;einfache&raquo; Willensleistung handeln, die eigentlich selbstverst&auml;ndlich sein m&uuml;sste.</p> <h2>Transtheoretisches Modell: Abstinenz leicht gemacht?</h2> <p>Selbst etablierte psychologische Erkl&auml;rungsmodelle wie das Stufenmodell der Verhaltens&auml;nderung (&laquo;Stages of Change&raquo;) 7, 8,das auch als Transtheoretisches Modell (TTM) bekannt ist, gehen davon aus, dass einer Verhaltens&auml;nderung sukzessive aufeinander aufbauende Stufen der Einsicht und Planung vorausgehen. W&auml;hrend nach einer Phase der &laquo;Sorglosigkeit&raquo; (Precontemplation-Phase) in der anschliessenden Contemplation-Phase die Vorteile einer Verhaltens&auml;nderung erkannt werden, m&uuml;ssen anschliessend eine Planung der Ver&auml;nderungen (Preparation-Phase), deren Umsetzung (Action-Phase) und Stabilisierung (Maintenance-Phase) erfolgen. Dabei kann es zwar R&uuml;ckschritte geben, sodass einzelne Phasen mehrfach durchlaufen werden m&uuml;ssen,<sup>8&ndash;11</sup> nach Abschluss der Maintenance- Phase sollte das neue Verhalten aber etabliert sein.<br /> Aufgrund seiner intuitiven Plausibilit&auml;t ist das TTM auf grosse Resonanz gestossen.<sup>12</sup> Gleichzeitig wurde auf methodische und konzeptuelle Schwachstellen des Modells hingewiesen<sup>13&ndash;14</sup> sowie eine Erweiterung des Modells f&uuml;r den Bereich abh&auml;ngigen Verhaltens gefordert.<sup>15&ndash;16</sup> &Uuml;bereinstimmend dazu zeigen die Ergebnisse unserer klinikeigenen Forschung, dass die Ber&uuml;cksichtigung des Abstinenz-Commitments zu einer Verbesserung des Vorhersagewerts der Modellphasen des TTM beitr&auml;gt.<sup>17</sup> Eine weitere Einschr&auml;nkung des Modells zur Erkl&auml;rung abh&auml;ngigen Verhaltens bzw. dessen Ver&auml;nderung d&uuml;rfte darin liegen, dass das TTM intentionale Prozesse, d. h. Prozesse der Absichtsbildung, fokussiert, w&auml;hrend volitionale Prozesse, also Prozesse der Absichtsrealisierung, nur einen untergeordneten Stellenwert einnehmen.</p> <h2>Die Bedeutung volitionaler Prozesse</h2> <p>Aus theoretischer Sicht ist die Ber&uuml;cksichtigung volitionaler Prozesse f&uuml;r die Kontrolle abh&auml;ngigen Verhaltens unverzichtbar. Volitionale Prozesse begleiten die Umsetzung einer Absicht (wie die Absicht, auf Alkohol zu verzichten) und sorgen daf&uuml;r, dass diese gegen&uuml;ber konkurrierenden Handlungstendenzen (z. B. der Tendenz, dem Alkohol-Craving nachzugeben) erfolgreich abgeschirmt werden.<sup>18</sup> Aus neurobiologischer Sicht k&ouml;nnen volitionale Prozesse auch als Prozesse der Selbstregulierung verstanden werden, die auf einer Top-down-Kontrolle pr&auml;frontaler Areale &uuml;ber sukortikale Regionen basieren.<sup>19</sup> Dabei sind die Anforderungen an die Selbstregulierungsleistung umso h&ouml;her, umso st&auml;rker die absichtskonkurrierende Tendenz und deren Anreizwert bzw. Aufforderungscharakter (= Incentive Salience) ist. &Uuml;bertragen auf den Bereich der Alkoholkonsumst&ouml;rungen bedeutet dies, dass mit zunehmendem Anreizwert des Alkohols auch die Anforderungen an die Handlungskontrolle steigen.</p> <h2>Pathologische Erh&ouml;hung des Anreizwerts</h2> <p>Dass es im Rahmen einer Abh&auml;ngigkeitsentwicklung zu einer &Uuml;bersteigerung des Anreizwerts von Alkohol und Drogen kommt, machen neurobiologische Modelle wie das Incentive-Modell der Abh&auml;ngigkeitsentwicklung von Robinson &amp; Berridge deutlich.<sup>20&ndash;22</sup> Das Modell erkl&auml;rt Prozesse der Abh&auml;ngigkeitsentwicklung als Folge neurobiologischer Adaptionsprozesse im mesolimbischen Dopamin-System, welches wesentlich an der Vermittlung motivationaler Prozesse beteiligt ist.<br /> Das mesolimbische Dopamin-System wird in erster Linie durch prim&auml;re Verst&auml;rker wie Nahrungsaufnahme, sexuelle Aktivit&auml;t und elterliches F&uuml;rsorgeverhalten aktiviert.<sup>23, 24</sup> Der Aktivierung geht ein Deprivationszustand voraus, bei Freisetzung von Dopamin findet eine Zentrierung von Aufmerksamkeit und Motorik auf den Verst&auml;rker statt, die zus&auml;tzlich von einem Gef&uuml;hl des &laquo;Wollens&raquo; begleitet wird. Dadurch wird die Auftretenswahrscheinlichkeit all jener Verhaltensweisen erh&ouml;ht, die den Zugang zum Verst&auml;rker beg&uuml;nstigen.<sup>25</sup> Somit dient das mesolimbische Dopamin- System evolutionsbiologisch betrachtet der Aufrechterhaltung und F&ouml;rderung lebensnotwendiger sowie arterhaltender Vorg&auml;nge.<sup>26&ndash;28</sup><br /> Neben prim&auml;ren Verst&auml;rkern werden auch die verst&auml;rkenden Eigenschaften von Alkohol und Drogen &uuml;ber das Motivationssystem vermittelt, wobei die Aktivierung des Systems im Vergleich zur nat&uuml;rlichen Verst&auml;rkung schneller und intensiver abl&auml;uft.<sup>29</sup> Zudem kommt es im Laufe einer Abh&auml;ngigkeitsentwicklung zu einer Sensibilisierung dopaminerger Neurone im Motivationssystem, d. h. nach chronischem Alkoholgebrauch wird immer mehr Dopamin im Motivationssystem freigesetzt, wenn der Betroffene mit alkoholbezogenen Hinweisreizen oder Gedanken konfrontiert ist.<sup>20&ndash;22</sup> Erzeugt die Freisetzung von Dopamin bei nat&uuml;rlichen Verst&auml;rkern ein Gef&uuml;hl des &laquo;Wollens&raquo;, ist nachvollziehbar, dass die gesteigerte Sensibilit&auml;t und die intensive Aussch&uuml;ttung des Botenstoffs ein &uuml;berm&auml;chtiges Verlangen ausl&ouml;sen. Robinson &amp; Berridge<sup>21</sup> sprechen in diesem Zusammenhang von einem &laquo;pathologischen Wollen&raquo;, das zu einer exzessiven Fokussierung des Konsums und entsprechender Hinweisreize f&uuml;hrt und alternative Verhaltensweisen mit Belohnungswert fast vollst&auml;ndig verdr&auml;ngt. Dies konnte auch im Tiermodell eindrucksvoll belegt werden: Erhalten Versuchstiere die M&ouml;glichkeit, Kokain, Psychostimulanzien oder Opioide freiwillig per Hebeldruck zu applizieren, ist die dadurch erzeugte Verst&auml;rkung so ausgepr&auml;gt, dass die Nahrungs- und Fl&uuml;ssigkeitszufuhr zugunsten der Drogenapplikation fast vollst&auml;ndig unterdr&uuml;ckt wird.<sup>30</sup> Die zunehmende Ansprechbarkeit des Dopamin-Systems im Sinne einer Sensibilisierung konnte zudem mittels Mikrodialyse-Technik f&uuml;r Kokain (z. B. Kalivas<sup>31</sup>), Methylphenidat<sup>32</sup>, f&uuml;r Opioide<sup>33</sup> und f&uuml;r Alkohol<sup>34</sup> nachgewiesen werden.</p> <h2>Abh&auml;ngigkeit als motivationale H&ouml;chstanforderung</h2> <p>Das Incentive-Modell postuliert dar&uuml;ber hinaus eine gegenl&auml;ufige Entwicklung von Anreizmotivation (im Sinne des Wollens) und Belohnung (im Sinne des M&ouml;gens). Nach Robinson &amp; Berridge<sup>20, 21</sup> werden beide Prozesse durch unterschiedliche neuronale Systeme vermittelt. W&auml;hrend es nach chronischem Drogen- oder Alkoholkonsum zu einer exponentiellen Zunahme der Anreizmotivation kommt, nehmen die belohnenden bzw. angenehmen Effekte kontinuierlich ab. Mit der Aufl&ouml;sung der positiven Beziehung zwischen &laquo;M&ouml;gen&raquo; und &laquo;Wollen&raquo; liefert das Modell zugleich eine Erkl&auml;rung des Ph&auml;nomens, dass Patienten ein starkes Verlangen nach Alkohol berichten, der Konsum gleichzeitig als zunehmend aversiv erlebt wird. Unsere klinikeigene Forschung l&auml;sst dar&uuml;ber hinaus eine &auml;hnliche Diskrepanz zwischen &laquo;Wollen &raquo; und &laquo;K&ouml;nnen&raquo; erkennen: So zeigt ein Teil unserer Patienten eine hohe und stabile Abstinenzmotivation, die jedoch nicht statistisch signifikant mit der tats&auml;chlichen Realisierung des Abstinenzvorsatzes korreliert.<br /> Die Befunde zum Anreizwert machen deutlich, dass abh&auml;ngige Patienten mit einer Extremsituation motivationaler Anforderungen konfrontiert sind. Die W&uuml;rdigung der Abstinenz als hohe motivationale Leistung kann zu einem verbesserten Verst&auml;ndnis von Abh&auml;ngigkeit sowohl bei den Behandelnden als auch bei den Betroffenen selbst und deren Angeh&ouml;rigen beitragen. Die Vermittlung dieser Haltung ist zentrales Element der leistungssensiblen Suchttherapie, die von Martin Fleckenstein, Psychologe MSc, und Marlis Heer, Psychologin MSc, entwickelte wurde und bereits in verschiedenen Schweizer Fachkliniken Anwendung findet.</p> <h2>Leistungssensible Suchttherapie</h2> <p>Die Leistungssensible Suchttherapie (LST) ist ein manualisiertes und evidenzbasiertes gruppentherapeutisches Verfahren zur Reduktion von R&uuml;ckf&auml;llen und zur Entstigmatisierung von Betroffenen und ihren Angeh&ouml;rigen. Der Schwerpunkt der LST liegt auf einer Haltungs&auml;nderung von Betroffenen gegen&uuml;ber der eigenen Suchterkrankung. Die Entwicklung dieses neuen Therapieverfahrens basierte auf der Beobachtung, dass eine von Scham besetzte Haltung der Betroffenen bei Therapiebeginn &uuml;berwiegt und oftmals auch noch nach Abschluss einer erfolgreichen Entw&ouml;hnungsbehandlung bestehen bleibt. Obwohl von Abh&auml;ngigkeit betroffene Menschen im Verlauf ihres Suchtausstiegsprozesses h&auml;ufig Erstaunliches leisten: Sie erreichen ihr Abstinenzziel und k&ouml;nnen dieses mit viel Anstrengung auch &uuml;ber Wochen und Monate aufrechterhalten. Und dennoch dominiert die Scham &uuml;ber die eigene Erkrankung m&ouml;gliche positive Gef&uuml;hle aufgrund der erzielten Abstinenz. LST zielt darauf ab, diese schambesetzte Haltung durch eine &laquo;leistungssensible Haltung&raquo; der Betroffenen und ihrer Angeh&ouml;rigen zu ersetzen. Die oben beschriebenen Zusammenh&auml;nge auf motivationaler und neurobiologischer Ebene werden mittels Analogien und Metaphern so &uuml;bersetzt, dass Betroffene und Angeh&ouml;rige ein tiefes Verst&auml;ndnis daf&uuml;r erlangen, warum Abstinenz f&uuml;r abh&auml;ngige Menschen eine t&auml;glich zu erbringende Leistung darstellt, auf die sie zu Recht stolz sein k&ouml;nnen. Der Unterschied zum Erleben von gesunden Personen, die Abstinenz als etwas &laquo;Selbstverst&auml;ndliches&raquo; wahrnehmen, wird thematisiert. Dies mit dem Ziel, die oftmals daraus resultierenden inad&auml;quaten Erwartungen aufseiten der Betroffenen (&laquo;Es m&uuml;sste mir doch genauso leicht fallen, den Konsum zu kontrollieren, wie den gesunden Personen in meinem Umfeld&raquo;) und aufseiten der Angeh&ouml;rigen (&laquo;Der m&uuml;sste sich doch nur ein wenig anstrengen, dann w&uuml;rde das schon gehen&raquo;) aufzudecken und durch leistungssensible Erwartungen zu ersetzen. Die inad&auml;quaten Erwartungen f&uuml;hren ansonsten immer wieder zu Besch&auml;mung und Selbstbesch&auml;mung, zu Stigmatisierung und Selbststigmatisierung.<br /> Das bedeutet, dass von Sucht betroffene Menschen nicht nur die Herausforderungen intentionaler und volitionaler Prozesse meistern und dauerhaft der pathologischen Erh&ouml;hung des Anreizwerts des Suchtmittels widerstehen m&uuml;ssen. Die Unkenntnis der meisten Betroffenen und ihrer Angeh&ouml;rigen &uuml;ber genau diese komplexen Herausforderungen f&uuml;hrt dar&uuml;ber hinaus zu einer Dynamik von Stigmatisierung und Selbststigmatisierung, welche die motivationale Ausgangslage zus&auml;tzlich erschwert. Diese Konstellation ist es, die die Erreichung und Aufrechterhaltung des Abstinenzziels zu einer motivationalen H&ouml;chstleistung macht.<br /> Tragendes Element der LST ist daher neben der Psychoedukation die W&uuml;rdigung und Anerkennung der enormen Leistungen von Betroffenen und Angeh&ouml;rigen im oft jahrelang andauernden Suchtausstiegsprozess. Sie f&ouml;rdert ad&auml;quate leistungssensible Erwartungen bei allen Beteiligten und unterst&uuml;tzt damit ein wertsch&auml;tzendes Klima zwischen Betroffenen und ihren Angeh&ouml;rigen. Die LST besteht aus drei Gruppensitzungen, wobei die nahestehenden Personen zur dritten Sitzung ebenfalls eingeladen werden. Zus&auml;tzlich zu den drei Sitzungen haben die Betroffenen w&auml;hrend der vierw&ouml;chigen Dauer des Programms die M&ouml;glichkeit, an t&auml;glichen Kurzinterventionen teilzunehmen, mit dem Ziel, die leistungssensible Haltung vertieft zu integrieren.<br /> In zwei Wirksamkeits&uuml;berpr&uuml;fungen der LST wies die Interventionsgruppe w&auml;hrend der Behandlungsdauer eine signifikant tiefere R&uuml;ckfallh&auml;ufigkeit auf als die Kontrollgruppe. Die Ergebnisse wurden im Setting einer 4- bis 6-w&ouml;chigen qualifizierten Entzugsbehandlung<sup>35</sup> und im Setting einer 24-w&ouml;chigen Entw&ouml;hnungsbehandlung<sup>36</sup> erzielt. Die R&uuml;ckfallh&auml;ufigkeit w&auml;hrend der Behandlung kann nach K&uuml;fner et al.<sup>37</sup> als Pr&auml;diktor f&uuml;r die Abstinenzsicherheit nach Austritt betrachtet werden. Tendenziell verst&auml;rkt LST emotionale Kompetenzen. Zudem erreicht die Intervention bei der Evaluation der Patientenzufriedenheit und der Zufriedenheit der Angeh&ouml;rigen sehr gute Werte. Um eine leistungssensible Haltung bei Betroffenen und Angeh&ouml;rigen zu vermitteln, w&auml;re eine fl&auml;chendeckende Integration der Leistungssensibilit&auml;t in die Fort- und Ausbildungsprogramme medizinischen und therapeutischen Fachpersonals w&uuml;nschenswert.</p> <h2>Ausblick</h2> <p>Neurobiologische und -kognitive Modelle der Abh&auml;ngigkeitsentwicklung machen deutlich, dass abh&auml;ngige Patienten mit einer Extremsituation motivationaler Anforderungen konfrontiert sind. Interventionen wie die LST vermitteln Betroffenen und deren Angeh&ouml;rigen ein rationales und vorurteilsfreies Verst&auml;ndnis von Abh&auml;ngigkeit und schaffen damit m&ouml;glicherweise auch ver&auml;nderte Voraussetzungen f&uuml;r die Wirksamkeit weiterer therapeutischer Interventionen. Dar&uuml;ber hinaus kann die Therapie abh&auml;ngigen Verhaltens von der Entwicklung motivationaler Ans&auml;tze profitieren, die intentionale und volitionale Prozesse in ein therapeutisches Gesamtkonzept integrieren und so systematisch zur St&auml;rkung einzelner Komponenten der Absichtsbildung und -realisierung beitragen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> American Society of Addiction Medicine (2015). Public Policy Statement: Definition of Addiction. https://www. asam.org/docs/default-source/public-policystatements/ 1definition_of_addiction_long_4-11.df?sfvrsn=a8f64512_4 <strong>2</strong> Schomerus G et al.: Attitudes towards alcohol dependence and affected individuals: persistence of negative stereotypes and illness beliefs between 1990 and 2011. 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