
Trans Fachpersonen und Peer-Angebote als wichtige und notwendige Ressourcen
Autoren:
lic. phil. Hannes Rudolph
Fachstelle für trans Menschen
Checkpoint Zürich
Marc Inderbinen, MSc.
Assistenzpsychologe am Zentrum für Psychotherapie
Universität Basel
Korrespondierender Autor:
Marc Inderbinen, MSc.
E-Mail: marc.inderbinen@unibas.ch
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In den letzten Jahren ist in der Psychiatrie ein Paradigmenwechsel zu beobachten: weg von der Pathologisierung von Trans-Identitäten hin zur Selbstbestimmung von transI Menschen sowie zur Anerkennung von einer Geschlechtervielfalt.1,2 Trotzdem zeigt die Forschung und Erfahrung aus der Praxis, dass es trans Menschen oft an spezialisierter Unterstützung durch Fachpersonen fehlt.3
Keypoints
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Die Belastung für trans Menschen durch Diskriminierungserfahrungen ist hoch, daher sind viele trans Menschen auf psychiatrisch-psychotherapeutische Angebote angewiesen.
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Kontakt zu anderen trans Personen ist wirksam gegen internalisierte Trans-Negativität, Verbundenheit zur Trans-Community ist deshalb ein wesentlicher Schutzfaktor für die psychische Gesundheit.
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Trans Fachpersonen und Trans-Community-basierte Angebote bieten trans Ratsuchenden Niederschwelligkeit, «safer spaces» und leisten einen wichtigen Beitrag für die psychische Gesundheit.
Der Zugang zu medizinischen und psychologischen Angeboten ist für trans Menschen erschwert. Noch zu selten werden in medizinischen und psychologischen Ausbildungen biologistische Geschlechtszuordnungen und Erwartungshaltungen hinterfragt. Spezifische Trans-Kompetenzen sind kaum anzutreffen. Somit werden trans Personen, ihre Körper und Lebensweisen in der Medizin selten mitgedacht und Gesundheitspersonal wird nicht befähigt, mit spezifischen Bedürfnissen umzugehen. Die Folgen davon können Diskriminierung, suboptimale oder gar falsche BehandlungII sein und für trans Personen die Schwelle, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, erhöhen. Dieser Beitrag befasst sich mit der Frage, wie eine nachhaltig verbesserte und selbstbestimmte Gesundheitsversorgung für trans Menschen erreicht werden kann und welche Rolle Fachpersonen, die selbst trans sind und Peer-Angebote dabei spielen.
Lebenssituation von trans Personen: von Akzeptanz bis Gewalt
Wie eine aktuelle Schweizer Umfrage zeigt, findet zurzeit ein gesellschaftlicher Wandel in Bezug auf Geschlecht statt, lediglich 18% der befragten Erwachsenen gehen davon aus, dass es nur «Frau» und «Mann» gibt.4 Gleichzeitig verbinden 53% der Befragten ein Coming-out als trans mit besonders viel Mut. Es zeigt sich, dass trans Menschen als Gruppe bereits mit ihrer Existenz etablierte gesellschaftliche Geschlechternormen von «Mann» und «Frau» und darüber hinaus hinterfragen. Dies bleibt nicht ohne Folgen. Trans Menschen sind Stigmatisierung, Diskriminierung und Ablehnung ausgesetzt.5 So zeigt der Swiss LGBTQ+ Report 2021, welcher Schweizer trans Menschen über ihre Erfahrungen im letzten Jahr befragte, dass Diskriminierung unter anderem in Form von Witzen (80%), Nicht-ernst-genommen-Werden (76%) und physischer Gewalt (15%) erlebt wird.6 Zudem berichten über 80% der befragten trans Menschen von struktureller Diskriminierung (z.B. in Krankenhäusern). Dies birgt Risiken für die psychische Gesundheit. Das Gender-Minderheitsstress-Modell (GMSM) beschreibt den Zusammenhang zwischen Diskriminierungserfahrungen und psychischer Belastung bei trans Menschen.7 Im Modell wird dargestellt, dass trans Personen als soziale Minderheit besonderen gesellschaftlich bedingten Stressfaktoren ausgesetzt sind. Darunter fallen Diskriminierung, Ablehnung und Viktimisierung sowie Nichtanerkennung des Geschlechtes. Das ständige Erleben dieser Stressfaktoren kann dazu führen, dass trans Menschen die negativen Vorstellungen der Gesellschaft über sich selbst verinnerlichen, was zu negativen Erwartungen an die Zukunft, Verstecken der Transidentität sowie verinnerlichter Trans-Negativität führen kann. Je häufiger solche äusseren und inneren Stressoren erlebt werden, desto grösser ist das Risiko für die Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit.7,8 So wird berichtet, dass trans Personen eine erhöhte Lebenszeitprävalenz von Depressionen (Bereich: 48%–62%) und Angstzuständen (Bereich: 26%–38%) im Vergleich zur cis Population aufweisen. Mit einer Spanne von 28% bis 40% ist die Prävalenz von Suizidgedanken und Suizidversuchen bei trans Personen hoch und im Vergleich zu cis Personen mit 5% bis 11% deutlich erhöht. Die «Trans Swiss Studie»9 zeigt, dass trans Personen in der Schweiz eine verminderte Lebensqualität und erhöhte psychische Belastungen aufweisen. Diese Zahlen machen deutlich, dass viele trans Menschen auf eine psychiatrisch-psychotherapeutische Unterstützung angewiesen sind.
Zentrale Vorteile von Begleitung und Beratung durch trans Fachpersonen
Neben niedergelassenen Fachpersonen und universitären Zentren, welche sich auf die Gesundheitsversorgung von trans Personen spezialisiert haben, bestehen in der Schweiz Fachangebote im Bereich Psychologie, Recht, Endokrinologie und sexuell übertragbare Krankheiten aus der Trans-CommunityIII. So gibt es zum Beispiel an den Checkpoints Zürich, Bern, Basel und Lausanne von den jeweiligen Aids-Hilfen psychologische Beratungsstellen von trans Fachpersonen für trans Menschen. Diese Angebote bestehen aus folgenden zentralen Aspekten:
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Peer-Ansatz: bezeichnet die Beratung durch Menschen, welche der gleichen Gruppe wie die ratsuchenden Personen zugehörig sind. In diesem Fall ist dies die Selbstidentifikation als trans Person. Der Peer-Ansatz ist bei trans Personen mit einer höheren Zufriedenheit, Inanspruchnahme und einem besseren Outcome von Beratungen assoziiert. Auch in der Suizidprävention hat sich dieser Ansatz als besonders wertvoll gezeigt.10
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Empowerment-Ansatz: Ziel dieses Ansatzes ist es, trans Personen in ihren eigenen Stärken, ihrer Selbstbestimmung und Autonomie zu fördern. Ein Teil davon kann die Bestärkung von positiven Trans-Narrativen oder der Fokus auf positive Erfahrungen von trans Personen sein. So kann die trans Berater*in eigene positive Erlebnisse im Zusammenhang mit der Trans-Identität in die Beratungsgespräche einbringen. Insbesondere Fachpersonen fungieren aufgrund des zugesprochenen gesellschaftlichen Status als positive «role-models».
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Verminderung von internalisierter Trans-Negativität: Trans Personen verinnerlichen häufig die gesellschaftliche Ablehnung. Scham, geringes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle sind häufig. Kontakt zu anderen trans Personen verbessert das Bild von trans Personen und trägt erheblich zum Empowerment bei.
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Schaffung eines «safer space», der es trans Personen ermöglicht, sich möglichst sicher und frei von Vorurteilen zu fühlen. Ein Raum, in dem trans Personen die Mehrheit sind, bedeutet, dass trans Personen sich nicht erklären oder rechtfertigen müssen. Sie sind relativ sicher vor Mikroaggressionen und unsensiblen oder übergriffigen Fragen und Bemerkungen und können darauf zählen, in dem Geschlecht akzeptiert zu werden, das ihrer Identität entspricht.
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Vernetzung mit trans Menschen: In der Forschung zum GMSM hat sich der Faktor «Verbundenheit zur Trans-Community» als Schutzfaktor für die psychische Gesundheit von trans Menschen etabliert.11 Der persönliche Kontakt zu trans Personen als Berater*in oder Behandler*in vereinfacht den Zugang zur Trans-Community (z.B. Angebote von Transgender Network Switzerland). Damit kann der Resilienzfaktor «Verbundenheit zur Trans-Community» gestärkt werden.
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Dies geht mit einer grundsätzlichen sozialen Unterstützung einher (z.B. ein Ort, an dem jemand zuhört) und ist wichtig, denn trans Personen sind einem erhöhten Risiko für soziale Ablehnung ausgesetzt. Hinterfragen von eigenen Privilegien: Trans Personen (und andere marginalisierte Gruppen) im Gesundheitswesen tragen dazu bei, dass ihre Perspektiven in die Arbeit einfliessen. Cis Fachpersonen werden so ermuntert, ihre Auseinandersetzung mit Geschlecht und anderen diskriminierungsrelevanten ThemenIV zu vertiefen und ihre Privilegien (durch Nichtbetroffensein von der entsprechenden Diskriminierung) zu reflektieren.
Die grosse Nachfrage nach Peer-Beratungsangeboten sowie Resultate aus Studien zeigen, dass trans Menschen in Peer-Angeboten eine besonders wichtige Unterstützung für ihre psychische Gesundheit finden.10 Daher sind Fachangebote aus der Trans-Community als Ergänzung und Entlastung zu anderen medizinischen Zentren nicht wegzudenken und bieten wichtige Stützen in der Schweizer Gesundheitsversorgung von trans Menschen.
Für eine bessere Gesundheitsversorgung: Mitsprache von Trans-Organisationen, trans Fachpersonen und trans Klient*innen
Trans-Gesundheitsversorgung muss die Bedürfnisse und Erwartungen von trans Personen sowohl bei der Konzeption als auch Durchführung von Angeboten angemessen erfassen und berücksichtigen. Die Erfahrung zeigt, dass dies zu einer grösseren Zufriedenheit und Compliance bei trans Menschen führt und positive Effekte auf die psychische Gesundheit der Betroffenen hat. Dies kann durch die Zusammenarbeit mit Trans-Organisationen oder in Form eines «Community-Sounding-Boards» passieren, so wie es bereits in der Durchführung von Forschungsprojekten umgesetzt wird.12
Aber auch nationale und regionale Fachgruppen (wie die Fachgruppe trans*), welche aus trans und cis Fachpersonen bestehen und mit Verbänden für trans Personen, z.B. Transgender Network Switzerland, im Austausch stehen, können ein Gefäss der Kooperation und Gestaltung der Gesundheitsversorgung für trans Personen bieten. Zudem ist eine spezifische Weiterbildung für Fachpersonen, welche mit trans Menschen arbeiten, wichtig, um Angebote möglichst transfreundlich zu gestalten und weiterzuentwickeln. Europaweit und weltweit sind trans und cis Personen in der European resp. World Professional Association of Transgender Health (EPATH resp. WPATH) organisiert. Entscheidend, um zukünftig eine verbesserte und selbstbestimmtere Gesundheitsversorgung von trans Menschen zu erreichen, ist daher die Kooperation von trans und cis Fachpersonen sowie der Einbezug von Trans-Organisationen und trans Klient*innen in die Weiterentwicklung von Gesundheitsangeboten für diese Klient*innen-Gruppe.
I. Der Begriff trans wird in diesem Text als Sammelbegriff für Personen, die sich nicht oder nicht vollständig mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren, verwendet. Das Gegenteil von trans ist cis.
ii. Etwa, wenn ein trans Mann bei Röntgenaufnahmen keinen Schutz für Ovarien und Uterus erhält, weil er für cis gehalten wird.
III. Als Trans-Community wird in diesem Text ein organisierter und informeller Zusammenschluss von trans Menschen bezeichnet, z.B. in Form von Hilfsangeboten, Veranstaltungen und Treffen.
IV. z.B. Rassismus, Klassismus, Ableismus, Fettfeindlichkeit.
Literatur:
1 Garcia D, Gross P: Die stille Revolution: eine Übersicht zum aktuellen Stand der Diagnostik und Behandlung von trans* Personen. Leading Opinions Neurologie & Psychiatrie 2018; 3: 27-9 2 Garcia D et al.: Von der Transsexualität zur Gender-Dysphorie. Beratungs-und Behandlungsempfehlungen bei TransPersonen. In: Swiss Medical Forum 2014; 14: 382-7 3 European Union Agency for Fundamental Rights: Being trans in the European Union. Comparative analysis of EU LGBT survey data. Luxembourg: European Union Agency for Fundamental Rights, 2020 4 Herman M et al.: Geschlechtergerechter.ch 12/2021 5 Bockting WO et al.: The transgender identity survey: a measure of internalized transphobia. LGBT Health 2020; 7: 15-27 6 Eisner L, Haessler T: Swiss LGBTQ+ Panel 2021; https://swiss-lgbtiq-panel.ch/reports_d/?lang=de 7 Hendricks ML, Testa RJ: A conceptual framework for clinical work with transgender and gender nonconforming clients: an adaptation of the Minority Stress Model. Prof Psychol Res Pr 2012; 43: 460-7 8 Inderbinen M et al.: Relationship of internalized transnegativity and protective factors with depression, anxiety, non-suicidal self-injury and suicidal tendency in trans populations: a systematic review. Frontiers in Psychiatry 2021; 12 9 Jäggi T et al.: Gender minority stress and depressive symptoms in transitioned Swiss transpersons. Biomed Res Int 2018; 8639263 10 Kia H et al.: Peer support as a protective factor against suicide in trans populations: a scoping review. Social Science & Medicine 2021; 114026 11 Brennan SL et al.: Relationship among gender-related stress, resilience factors, and mental health in a Midwestern US transgender and gender-nonconforming population. International Journal of Transgenderism 2017; 18: 433-45 12 Reisner SL et al.: LifeSkills for men (LS4M): pilot evaluation of a gender-affirmative HIV and STI prevention intervention for young adult transgender men who have sex with men. J Urban Health 2016; 93: 189-205
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