© Getty Images/iStockphoto

Der Mythos von den männlichen Wechseljahren

Vergebliche Hoffnung auf Verjüngungskur

<p class="article-intro">Haben Männer keine Lust mehr auf Sex, fallen ihnen die Haare aus oder fühlen sie sich alt, führen sie das oft auf einen Testosteronmangel zurück und erhoffen sich mit Hormongaben eine Verjüngungskur. Doch dass die Testosteronspiegel wie bei Frauen in den Wechseljahren automatisch mit dem Alter abnehmen, ist ein Mythos. Die Hoffnung, man könne sich mit Testosteron verjüngen oder die Gesundheit verbessern, scheint gemäss neuen Studien begraben zu sein.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Sie ist weg &ndash; und das liegt an meinen Wechseljahren.&raquo; Die 15 Jahre j&uuml;ngere Freundin habe ihn verlassen, erz&auml;hlt der 61-J&auml;hrige dem Psychiater, weil er keine Lust mehr auf Sex habe, ihm die Haare ausgefallen seien und er ziemlich zugenommen habe. Prof. Dr. med. Gregor Hasler, Chefarzt an den Universit&auml;ren Psychiatrischen Diensten in Bern, erinnert sich noch gut an den Mann. &laquo;Er war &uuml;berzeugt, sein Testosteronspiegel w&uuml;rde sich im akuten Sinkflug befinden und sei schuld an seinen Problemen&raquo;, erz&auml;hlt er. Ein Bekannter aus dem Fitnessstudio spritzte dem Mann Testosteron, doch er verlor noch mehr Haare, seine Hoden wurden kleiner, und er hatte immer noch keine Lust auf Sex. Der Mann war frustriert: Warum klappte die &laquo;Verj&uuml;ngungskur&raquo; nicht? Aufschluss dar&uuml;ber gibt eine Serie von Studien, die k&uuml;rzlich ver&ouml;ffentlicht wurden.<sup>1&ndash;5</sup> Das ern&uuml;chternde Fazit: Die Hoffnung, &auml;ltere M&auml;nner k&ouml;nnten sich mit Testosteron verj&uuml;ngen oder ihre Gesundheit verbessern, scheint begraben zu sein.</p> <p>Testosteron ist eines der wichtigsten m&auml;nnlichen Sexualhormone. Wie viel davon produziert wird, regulieren die Hormone LH und FSH aus der Hypophyse, die wiederum vom Hypothalamus gesteuert wird. In den Hoden wird Testosteron &uuml;ber mehrere Zwischenschritte aus Cholesterin gebildet. Es l&auml;sst den Mann &laquo;typisch m&auml;nnlich&raquo; aussehen, ihn sexuelle Lust sp&uuml;ren, eine Erektion bekommen und baut seine Muskeln und Knochen auf. Immer wieder liest man in einschl&auml;gigen Fitnessportalen oder M&auml;nnerzeitschriften, der Testosteronspiegel w&uuml;rde wie bei Frauen in den Wechseljahren im Alter abnehmen, und sie br&auml;uchten Testosteronersatz. &laquo;Das ist aber ein Mythos&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Michael Zitzmann, Oberarzt im Centrum f&uuml;r Reproduktionsmedizin und Andrologie an der Universit&auml;tsklinik M&uuml;nster. &laquo;Die Testosteronspiegel sinken nicht automatisch mit dem Alter. Wird man nicht &uuml;bergewichtig, bekommt keine chronischen Krankheiten und hat ein bisschen Gl&uuml;ck, beh&auml;lt man fast die Testosteronspiegel der Jugend.&raquo;</p> <p>Mit dem Mythos l&auml;sst sich allerdings gut Geld verdienen. In den letzten Dekaden nahm der weltweite Verkauf von Testosteronpr&auml;paraten um mehr als das Zw&ouml;lffache zu &ndash; und das, obwohl seit dem ersten therapeutischen Einsatz von Testosteron in den 1930er-Jahren &Auml;rzte den Einsatz nur in einer Situation empfehlen: bei nachgewiesenem Mangel an Testosteron.<sup>6</sup> &laquo;Durch geschicktes Marketing wurde aber propagiert, quasi jeder &auml;ltere Mann br&auml;uchte eine Hormonersatztherapie&raquo;, sagt Psychiater Hasler. 2002 beschloss das US-amerikanische Institute of Medicine, der Frage auf den Grund zu gehen, und gab die soeben publizierten Studien in Auftrag. Das Fazit: Die Werbung f&uuml;r Testosteron als &laquo;Liebeshelfer&raquo; oder &laquo;Jungbrunnen&raquo; basiert auf extrem d&uuml;nnen Daten. So steigerte Testosteron zwar die sexuelle Funktion geringf&uuml;gig, aber der Effekt liess nach kurzer Zeit wieder nach. Vitaler und k&ouml;rperlich fitter wurden die M&auml;nner nicht, und auch ihre Hirnfunktion besserte sich nicht.<sup>1</sup> Zwar erh&ouml;hte sich nach einem Jahr Therapie die Knochendichte. Unklar bleibt jedoch, ob dadurch auch das Risiko f&uuml;r einen Knochenbruch sinkt.<sup>3</sup> Bei M&auml;nnern mit An&auml;mie vermochte das Testosteron den H&auml;moglobinwert anzuheben.<sup>4</sup> Dieser Befund muss in weiteren Studien best&auml;tigt werden. Keine Klarheit bringen die neuen Studien dar&uuml;ber, wie sich eine Testosterontherapie auf das Herz-Kreislauf-Risiko auswirkt. Bei den behandelten M&auml;nnern wurden mehr Plaques in den Koronararterien nachgewiesen, und die Gef&auml;sse verengten sich<sup>4</sup> &ndash; dies k&ouml;nnte erkl&auml;ren, warum in fr&uuml;heren Studien Testosteron das Risiko f&uuml;r Herzinfarkte oder Schlaganf&auml;lle erh&ouml;hte. Andererseits hatten M&auml;nner in einer Teilstudie nach drei Jahren Therapie ein geringeres kardiovaskul&auml;res Risiko.<sup>5</sup> Aussagekr&auml;ftige randomisierte Studien fehlen. Aber nur so liesse sich kl&auml;ren, ob sich eine Hormonsubstitution g&uuml;nstig auf Herzinfarkt und Tod auswirke. &laquo;Aus kardiologischer Sicht braucht kein Mann eine Testosterontherapie&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Thomas L&uuml;scher, Direktor der Kardiologie am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich.</p> <p>Bagatellisieren d&uuml;rfe man das Problem jedoch nicht, sagt Dr. med. Christian Sigg, Androloge in Z&uuml;rich. Denn manche M&auml;nner h&auml;tten durchaus einen Testosteronmangel, also weniger als 12nmol/l im Blut. Immer wieder liest man, der Testosteronwert sinke ab etwa 35 Jahren um rund 1 % pro Jahr und noch schneller, wenn man an einer chronischen Krankheit oder Stress leide, bestimmte Medikamente nehme oder &uuml;bergewichtig sei. Doch die Testosteronspiegel sinken im Schnitt gar nicht, wenn man gesund bleibt, wie Forscher aus Grossbritannien zeigten. So haben manche selbst mit 80 noch die Werte eines 28-J&auml;hrigen.<sup>7</sup> &laquo;Man kann viel daf&uuml;r tun, dass die Testosteronspiegel hoch bleiben&raquo;, sagt Androloge Zitzmann, &laquo;n&auml;mlich Normalgewicht behalten.&raquo;</p> <p>Zu Prof. Dr. med. George Thalmann, dem Chefurologen am Inselspital in Bern, kommen immer mehr M&auml;nner, die meinen, zu wenig Testosteron zu haben. &laquo;Sie klagen &uuml;ber Probleme beim Sex, Depressionen, Stimmungsschwankungen, Ersch&ouml;pfung und reduzierte Vitalit&auml;t&raquo;, erz&auml;hlt er. Er misst dann zweimal den Testosteronwert, da dieser schwanken kann. Liegt wirklich ein Mangel vor, kl&auml;rt er, ob die Beschwerden nicht noch von anderen Problemen herr&uuml;hren k&ouml;nnten, etwa Stress mit der Partnerin oder im Job.</p> <p>M&auml;nner w&uuml;rden schlechter mit dem Altern zurechtkommen als Frauen, sagt Prof. Dr. rer. soc. Anne Maria M&ouml;ller-Leimk&uuml;hler, Sozialwissenschafterin an der Ludwig-Maximilians-Universit&auml;t in M&uuml;nchen, vor allem wenn sie sich vornehmlich &uuml;ber Leistung und Erfolg definiert haben. &laquo;Mit 40 bis 60 bekommen M&auml;nner oft eine Identit&auml;tskrise. Sie sind unzufrieden mit sich, dem Leben, ihrer Gesundheit, zweifeln an sich selbst, sind &auml;ngstlich und depressiv&raquo;, sagt sie. &laquo;Das hat aber eher mit m&auml;nnlichem Geschlechtsrollenstress zu tun als mit einem Testosteronmangel.&raquo;</p> <p>Liegt der Testosteronwert am unteren Grenzwert, gilt es, individuell zu &uuml;berlegen, ob sich eine Therapie mit allf&auml;lligen Nebenwirkungen lohnt. Man d&uuml;rfe sich nicht der Illusion hingeben, dass man die Potenz, Leistungsf&auml;higkeit und Energie der Jugend wieder erreicht, sagt Sigg. &laquo;Die M&auml;nner haben oft falsche Vorstellungen. Testosteron ist nun mal keine Verj&uuml;ngungskur.&raquo;</p> <p>Mit dem 61-j&auml;hrigen Mann unterhielt sich Psychiater Hasler beim ersten Gespr&auml;ch lange. Er habe schon mehrere Jahre Probleme mit seiner Freundin gehabt, gab der Mann zu. Immer mehr hatte er auch den Eindruck, sein Sohn wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben. &laquo;In der Psychotherapie sah er zunehmend ein, dass seine Probleme nicht pl&ouml;tzlich aufgetreten waren und man sie auch nicht durch einen Hormonmangel erkl&auml;ren konnte&raquo;, erz&auml;hlt Hasler. Der Mann lernte, seine Ver&auml;nderungen als normalen Alterungsprozess zu verstehen, und ergriff die Chance f&uuml;r eine neue Beziehung. &laquo;Sein Sohn kam jetzt wieder &ouml;fter vorbei, um sich von dem frisch verliebten Paar bekochen zu lassen&raquo;, sagt Hasler. &laquo;Von Testosteronspritzen wollte der Mann nichts mehr wissen.&raquo;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Resnick SM et al: JAMA 2017; 317(7): 717-27 <strong>2</strong> Roy CN et al: JAMA Intern Med (online), 21. Februar 2017 <strong>3</strong> Snyder P J et al: JAMA Intern Med (online), 21. Februar 2017 <strong>4</strong> Budoff MJ et al: JAMA 2017; 317(7): 708-16 <strong>5</strong> Cheetham TC et al: JAMA Intern Med (online), 21. Februar 2017<strong>6</strong> Handelsman D J: JAMA 2017; 317(7): 699-701 <strong>7</strong> Kelsey TW et al: PLoS One 2014; 9(10): e109346</p> </div> </p>
Back to top