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Verschreibung von Antipsychotika und Benzodiazepinen aus Sicht eines Alterspsychiaters
Jatros
Autor:
Prim. Dr. Christian Jagsch
Abteilung für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie<br> Landeskrankenhaus Graz Süd-West, Standort Süd Graz<br> E-Mail: christian.jagsch@kages.at
30
Min. Lesezeit
28.06.2018
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<p class="article-intro">Antipsychotika und Benzodiazepine werden häufig bei älteren und hochbetagten Patienten eingesetzt. Ein kritischer Blick und ein genaues Abwägen von therapeutischer Notwendigkeit und erzeugten Nebenwirkungen und Interaktionen sind erforderlich.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Der Einsatz von Antipsychotika im Alter, bei schweren psychiatrischen Erkrankungen im Vergleich zur Behandlung von Verhaltensstörungen und Delir bei Demenz unterscheidet sich deutlich in der Dauer der Behandlung und in der Höhe der Dosierung.</li> <li>Die Gabe von Antipsychotika zur Behandlung von Verhaltensstörungen bei Demenz erfordert eine Therapieüberprüfung nach 6 bis 8 Wochen mit dem Ziel, diese abzusetzen. Die Etablierung einer antidementiven Therapie wird vorausgesetzt.</li> <li>Nach Abklingen der Symptomatik eines Delirs und der Behandlung der zugrunde liegenden, meist somatischen Ursache wird ein etabliertes Antipsychotikum abgesetzt.</li> <li>Benzodiazepine sollten so kurz wie möglich und so niedrig dosiert wie nötig eingesetzt werden.</li> <li>Bei einer Entwicklung von Gewöhnung und Abhängigkeit ist eine gemeinsame Entscheidung mit der/dem Betroffenen zu entwickeln bzgl. zukünftiger Einnahme. Auch eine Dosisreduktion ist ein Erfolg.</li> </ul> </div> <h2>Antipsychotika</h2> <p>Bei Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises, bei sekundär psychotischen Störungen, bei paranoiden Persönlichkeitsstörungen, bei affektiven Erkrankungen wie bei schweren depressiven Episoden mit psychotischen Symptomen oder bei bipolaren Störungen werden Antipsychotika zur mittel- und langfristigen Pharmakotherapie auch im Alter eingesetzt. Bei demenziellen Erkrankungen mit Verhaltensstörungen/herausforderndem Verhalten oder Delir sind Antipsychotika, wenn überhaupt, nur kurzfristig, niedrig dosiert und in der Akutphase (6–8 Wochen) einzusetzen.</p> <p>Im Vordergrund der Behandlung der Verhaltensstörungen bei demenziellen Erkrankungen stehen zunächst nicht pharmakologische Maßnahmen wie:</p> <ul> <li>Angehörigeninformation und Angehörigenschulung (die Angehörigen als Kotherapeuten gewinnen),</li> <li>die Auslöser für Verhaltensstörung identifizieren („erschöpfte Angehörige“),</li> <li>sensorische Defizite ausgleichen (Sehund Hörbehelfe),</li> <li>regelmäßige körperliche und geistige Aktivitäten,</li> <li>medizinische Versorgung erhöhen bei Verdacht auf zusätzliche körperliche Erkrankungen,</li> <li>psychotherapeutische Interventionen (z.B. Validation, Formen der Familienoder Paartherapie, Gruppen mit Betroffenen und Angehörigen, verhaltensmodifizierende Zugänge, Musiktherapie, Tiertherapie),</li> <li>aktivierende Pflege (z.B. nach Böhm).</li> </ul> <p>Sollten diese nicht ausreichen, kann eine vorübergehende Pharmakotherapie mit Antipsychotika bei folgenden Symptomen hilfreich sein (Tab. 1):</p> <ol> <li>Bei Agitation oder Aggression sind in erster Linie Risperidon oder Aripiprazol etabliert. Weiters werden Citalopram, Mood-Stabilizer (Carbamazepin, Valproinsäure) und Benzodiazepine (kurzfristig) eingesetzt.</li> <li>Bei psychotischen Symptomen wie Halluzinationen und wahnhaften Überzeugungen werden ebenfalls Risperidon und Aripiprazol, Quetiapin und Clozapin bei Parkinson-Demenz und Lewy-Body-Demenz verordnet.</li> <li>Bei Verhaltensstörungen, die mit Schreien einhergehen, werden zunächst eine Schmerzbehandlung, eine Angstbehandlung und schließlich eine Depressionsbehandlung fokussiert. Bei Ängsten werden Citalopram oder Sertralin sowie Pregabalin und kurzfristig Benzodiazepine eingesetzt.</li> <li>Zur Behandlung von Schlafstörungen kommen Z-Drugs (Zolpidem), Antidepressiva (Trazodon CR, Mirtazapin), Benzodiazepine (Lorazepam – Temesta) und Antipsychotika (Levomepromazin – Nozinan, Prothipendyl – Dominal) zum Einsatz.</li> </ol> <p>Bei einem Delir bei Demenz sollten die zumeist somatischen Ursachen identifiziert und behandelt werden. Ausgeprägte oder auch rezidivierende Verlaufsformen verlangen aber auch die Behandlung mit einem Antipsychotikum, auch in diesem Fall Risperidon oder Aripiprazol.<br /> Als relevante Nebenwirkungen der Antipsychotika besonders auch im Alter müssen kardiovaskuläre (QTc-Verlängerung), sedative, anticholinerge und metabolische Störungen sowie Bewegungsstörungen, wie Akathisie, Parkinsonoid und tardive Dyskinesien, beachtet werden.</p> <h2>Benzodiazepine</h2> <p>Benzodiazepine werden aufgrund ihrer großen therapeutischen Breite gerne auch im Alter verordnet, viele Patienten nehmen ihre gewohnte Medikation auch ins hohe Alter mit, ohne dass dies kritisch hinterfragt wird. Sie wirken anxiolytisch, antikonvulsiv, muskelrelaxierend, sedierend, hypnotisch und leicht stimmungsaufhellend.</p> <p>Benzodiazepine kommen zum Einsatz in der Prämedikation bei Narkosen und auch in der Behandlung der Epilepsie. Psychiatrische Indikationen sind die Behandlung der Angst, von Erregungszuständen, zur Behandlung von Schlafstörungen und zur Behandlung bei Entzug von Alkohol und Benzodiazepinen. Bei Verhaltensstörungen bei demenziellen Erkrankungen können sie hilfreich sein in der Behandlung der Agitation und Erregung, bei Ängsten und kurzfristig in der Behandlung der Schlafstörungen.</p> <p>Die Nebenwirkungen sind vor allem auch im Alter zu berücksichtigen, wie ein Hang-over-Effekt mit Tagesmüdigkeit und Schläfrigkeit sowie die muskelrelaxierende Wirkung mit erhöhter Sturzgefahr und verstärkter Blasenschwäche. Ebenso verstärken sich kognitive Defizite und es kann zu paradoxen Reaktionen kommen wie Agitiertheit und Erregungszuständen. Schließlich kann sich eine Abhängigkeitsentwicklung abzeichnen mit zunehmender Steigerung der Dosis und Verstärkung der Nebenwirkungen.</p> <p>Es sollten nur Substanzen mit kürzerer Halbwertszeit verschrieben werden, damit es zu keiner Kumulation im Körper kommt, da ältere Menschen einen höheren Körperfettanteil haben und lipophile Substanzen stärker speichern (Tab. 2). Die angegebenen Maximaldosierungen sollten beim älteren Patienten natürlich nicht erreicht werden. Die Dosis sollte so niedrig wie möglich sein, Oxazepam und Lorazepam sind vorzuziehen, da keine störanfällige Metabolisierung vorliegt.</p> <p>Falls die Entscheidung getroffen wird, Benzodiazepine zu reduzieren oder abzusetzen, sollten folgende Fragen bei der Entscheidung helfen:</p> <ol> <li>Besteht bereits ein Schaden durch den Benzodiazepingebrauch, z.B.: Sturzgefahr, Wesensveränderung oder kognitive Störung?</li> <li>Hat der Patient noch einen Nutzen von der Benzodiazepinbehandlung, z.B. Behandlung starker Angsterkrankungen?</li> <li>Sind nachteilige Folgen des Entzuges zu erwarten, z.B. Verschlechterung eines somatischen Zustands oder einer schweren Erkrankung?</li> <li>Verbleibende Lebensspanne/Lebensqualität?</li> <li>Vorhandenes soziales Umfeld?</li> </ol> <p>Man sollte auch bedenken, dass bereits eine Dosisreduktion einen Behandlungserfolg darstellt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1803_Weblinks_jatros_neuro_1803_s41_tab1+2.jpg" alt="" width="1419" height="1726" /></p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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