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Versorgung der proximalen Humerusfraktur
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Fabrizio Moro
Schulter- und Ellbogenchirurgie,<br> Schulthess Klinik, Zürich<br> E-Mail: fabrizio.moro@kws.ch
30
Min. Lesezeit
27.09.2018
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<p class="article-intro">The proximal humerus fracture represents the fourth-most common fracture among geriatric patients and is still yet characterised by high complication rates of up to 49 % , and revision rates up to ?.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Bone quality influences the appropriateness of any intervention.</li> <li>Delineate the exact pattern of the fracture even with sophisticated imaging. This will influence the selection of fixation techniques.</li> <li>Most important factors for the stability of locking plate fixation are bone mineral density and the medial support.</li> <li>Our own developed «champagne- peg technique» to enhance the medial support is an elaborate, but effective tool to treat complex proximal humerus fractures. It allows stable, anatomical reduction even in severe 4-part fractures. Despite a substantial complication rate, satisfactory clinical results were achieved.</li> </ul> Die proximale Humerusfraktur zählt zu den häufigsten Frakturen in der Alterstraumatologie. Aufgrund der demografischen Entwicklung mit einer Altersumverteilung, bedingt unter anderem durch eine höhere Lebenserwartung und daraus resultierend Überalterung der Bevölkerung, ist in naher Zukunft eine Zunahme dieser Frakturen zu erwarten.<br /> Die meist wenig dislozierten stabilen proximalen Humerusfrakturen des jüngeren und älteren Patienten lassen sich konservativ behandeln. Funktionell sind hierbei gute Resultate zu erzielen. Für die Versorgung der höhergradigen und somit instabilen Frakturen fehlen bis heute noch allgemein anerkannte Behandlungskonzepte.<br /> Die höhergradige Fraktur des proximalen Humerus kann als «unsolved fracture» bezeichnet werden. Die optimale Therapie der dislozierten proximalen 3- und 4-Fragment- Humerusfraktur wird auch heute noch sehr kontrovers diskutiert. Auch aus den elaborierten Klassifikationssystemen, welche das Frakturausmass umfassend beschreiben, lassen sich keine generellen Therapieempfehlungen ableiten. Das Frakturausmass lässt zudem keine Aussage für das zu erwartende Outcome zu. Somit lassen sich derzeit, gestützt auf die gängigen Klassifikationssysteme, keine eindeutigen Empfehlungen aussprechen, wann ein endoprothetischer Ersatz oder eine Osteosynthese indiziert ist.<br /> Die bimodale Altersverteilung dieser Frakturen – Hochrasanzverletzung beim Jüngeren versus Indexfraktur bei Osteoporose des älteren Menschen – sollte in der Entscheidungsfindung mitberücksichtigt werden. Generell gilt die Meinung, dass beim jungen Patienten nach Möglichkeit eine Osteosynthese angestrebt werden sollte. Die endoprothetische Versorgung bleibt den älteren Patienten vorbehalten. Die Ergebnisse nach anatomischer Prothesenimplantation sind allerdings bezüglich Funktion schlecht voraussehbar, dies hauptsächlich bedingt durch das Fehl- oder Nichteinheilen der Tuberkulafragmente oder die im Verlauf beobachtete Tuberkulamigration. Auch lassen sich im Verlauf sekundäre Resorptionen («vanishing tubercula») radiologisch dokumentieren, welche mit einer sekundären Rotatorenmanschetteninsuffizienz einhergehen. Diese Tatsachen führen dazu, dass sich heute in der Fraktursituation ein Trend zur inversen Prothese abzeichnet, da das Nichteinheilen der Tuberkulafragmente «more forgiving» ist.<br /> Bei der Entscheidung zwischen Osteosynthese und Prothese sollte bei folgenden Diagnosen eine prothetische Versorgung in Betracht gezogen werden: «Headsplitting »-Fraktur und anteromediale Impressionsfraktur (Malgaigne-Fraktur) bei der hinteren Luxationsfraktur (>40 % der Kalotte sind imprimiert). Auch bei der anterioren Luxationsfraktur mit Beteiligung des anatomischen Halses gilt es abzuwägen, ob aufgrund des erhöhten Risikos einer avaskulären Humeruskopfnekrose die primär prothetische Versorgung die bessere Option darstellt. Das erhöhte Risiko für eine Humeruskopfnekrose bei höhergradigen Verletzungen stellt aber per se keine Kontraindikation für eine Osteosynthese dar. Eine Revaskularisierung oder das Phänomen «creeping substitution » für die Kopfkalotte oder die einzelnen Fragmente sind in der Literatur beschrieben. Heute liegt der primäre Fokus viel mehr auf dem Erreichen einer stabilen anatomischen Osteosynthese, um somit das Risiko der Nekrose zu minimieren. Zudem handelt es sich bei der Nekrose um einen radiologischen Befund, der mit der Klinik überhaupt nicht einhergehen muss, d.h., viele Nekrosen können auch über die Jahre asymptomatisch bleiben.<br /> Die initial vielversprechende winkelstabile Plattenosteosynthese zur Versorgung osteoporotischer Frakturen des proximalen Humerus beim alten Patienten konnte sämtliche Erwartungen nicht erfüllen. Auch nach über 10 Jahren, seit der Einführung solcher Plattensysteme, sind die Raten an Komplikationen, an erster Stelle die primäre und sekundäre Schraubenperforation, weiterhin sehr hoch und betragen bis zu 16 % . Trotz der biomechanischen Vorteile der winkelstabilen Implantate kann die Retention des Humeruskopfes nicht immer gewährleistet werden. Sekundäre Repositionsverluste, wie das Abrutschen des Humeruskopfes in Varus, sind dann die Folge. Die verminderte Knochenqualität (Osteoporose) und die fehlende mediale Abstützung am Calcar stellen die Hauptursachen für das Versagen der Osteosynthesetechniken dar.<br /> Die Augmentationstechniken mit Kalziumphosphat, Autograft oder Allograft haben in den letzten Jahren zusehends an Bedeutung gewonnen. Zum einen lässt sich die «head cavitation» («eggshell like head») mit biologischem Material füllen und zum anderen kann die mediale Abstützung wiederhergestellt werden. Ein sekundärer Repositionsverlust, bedingt durch eine Sinterung der Fraktur oder «slippage» des Humeruskopfes bei ungenügender medialer Abstützung, sollte theoretisch verhindert werden. Viele biomechanische Studien haben den Beweis einer besseren Abstützung am Calcar mittels Knochenblock erbringen können, was somit die Stabilität der Rekonstruktion erhöht. <h2>Eigene Beobachtungen (unpublished data)</h2> Wir konnten die bereits von anderen Autoren gemachten positiven Erfahrungen bestätigen. Von Juni 2011 bis Februar 2015 wurden 27 Patienten mit einer proximalen Humerusfraktur retrospektiv erfasst, die mit einer winkelstabilen Plattenosteosynthese versorgt wurden, wobei gleichzeitig zur Abstützung posteromedial eine Augmentation mit Allograft erfolgte. Die operative Versorgung der Fraktur konnte nach durchschnittlich 7 (2–15) Tagen erfolgen. Das mittlere Alter betrug 61,9 (34–79) Jahre. Es wurden 2 2-Fragment- Frakturen, 6 3-Fragment-Frakturen und 19 4-Fragment-Frakturen mit Allograft augmentiert und mit einer winkelstabilen Platte (PHILOS oder LCP Periarticular Proximal Humerus Plate 3.5, Fa. Synthes, West Chester, Pennsylvania, USA) und einer anteromedial orthogonal angebrachten Viertelrohrplatte osteosynthetisch versorgt («fresh frozen femoral head allografts», Fa. LifeNet Health, Bio- Implants Division, Virginia Beach, USA). Der Humeruskopf wurde zurechtgeschnitten, entsprechend einer Grösse von 2 x 2,5 x 5,5cm, und dann intramedullär in den Humerusschaft platziert. Hierbei diente der Graft als indirekte Repositionshilfe und verbesserte die posteromediale Abstützung. Wir benannten die Methode «Champagner-Zapfen-Technik».<br /> Nach einem mittleren Follow-up von 14 (12–32) Monaten waren 26 der 27 erfassten Frakturen geheilt (96,3 % ). Die durchschnittliche aktive Flexion betrug 133,1° ± 33,55°, die aktive Abduktion 120,9° ± 35,74°. Die durchschnittliche Innenrotation gelang bis LWK 3.<br /> Um den Repositionsverlust zu erfassen, wurden zwei Linien senkrecht zu einer Senkrechten zur liegenden Osteosyntheseplatte gezogen: einmal auf Höhe des Plattenendes und einmal auf Höhe des Scheitels des Humeruskopfes. Auf den unmittelbar postoperativ angefertigten Röntgenbildern wurde die daraus resultierende Distanz gemessen. Das gleiche Prinzip wurde dann bei der zuletzt durchgeführten Bildgebung angewandt und die resultierende Differenz dieser beiden Messungen ergab dann ausgemessen den Repositionsverlust. Der Verlust an humeraler Höhe betrug im Durchschnitt 1,72mm ± 3,05mm.<br /> Wir konnten 8 Komplikationen verzeichnen (29,6 % ), die 6-mal zu einer Revision führten (22,2 % ). Bei 2 Patienten kam es zu einer partiellen avaskulären Nekrose (7,4 % ), bei 2 Patienten zu einem tiefen Frühinfekt. Bei einem Patienten konnte nach programmierten «second looks» die Osteosynthese erhalten werden. Der Infekt konnte mit einer Langzeit-Antibiotikatherapie behandelt werden. Nach Konsolidierung der Fraktur erfolgte eine vorzeitige Metallentfernung. Trotz dieser schwerwiegenden Komplikation konnte funktionell ein sehr gutes Resultat erreicht werden. Aufgrund einer septischen Lockerung und daraus resultierender instabiler Situation musste beim zweiten Patienten die vorzeitige Osteosynthesematerialentfernung erfolgen. Es bildete sich eine weitgehend asymptomatische Pseudarthrose. Eine dem Patienten vorgeschlagene Revisionsoperation mit Pseudarthrosesanierung und Reosteosynthese wurde im Verlauf vom Patienten abgelehnt. Funktionell erlitten 2 Patienten eine sekundäre Dislokation des Tuberculum-majus- Fragmentes. Bei einem Patienten konnten wir eine sekundäre Schraubenperforation beobachten und einmal musste ein postoperatives Hämatom ausgeräumt werden. Keine Osteosynthese musste auf eine Schulterprothese konvertiert werden. <h2>Schlussfolgerungen: «No clear-cut superior technique!»</h2> Trotz der Vielfalt an Implantatsystemen und Operationstechniken lässt sich auch heute noch kein klarer Vorteil für ein bestimmtes Versorgungskonzept ableiten.<br /> Implantat- und nicht implantatspezifische Komplikationen sind und bleiben weiterhin häufig. Die Analyse der gängigen Literatur zeigt für die winkelstabile Plattenosteosynthese eine mittlere Komplikationsrate von bis zu 49 % , verbunden mit einer Revisionshäufigkeit von nahezu einem Drittel der Fälle.<br /> Die proximale Humerusfraktur stellt uns weiterhin vor ungelöste Probleme. Sie ist charakterisiert durch eine schwierige Klassifikation, verbunden mit einer schwierigen Behandlung und – unabhängig von der gewählten Behandlung – schlechten funktionellen Ergebnissen.<br /> Wir brauchen einheitliche Outcome Scores, die uns bis heute fehlen, um Vergleiche zwischen den verschiedenen Therapieoptionen bewerkstelligen zu können. Bis zum heutigen Zeitpunkt sind wir nicht in der Lage, ein allgemeingültiges Behandlungsregime zu erstellen. Realistischer sind individuelle Therapieansätze, welche die Frakturmorphologie, das Alter und die Lebensumstände des Patienten, inklusive medizinischer Vorerkrankungen, berücksichtigen.</div> <div><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s32_abb1.jpg" alt="" width="2149" height="1604" /></div></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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