
„Auch bei asymptomatischen Patienten an eine Lungenbeteiligung denken“
Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. MUDr. Valentin S. Schäfer
Leiter der Sektion für Rheumatologie und klinische Immunologie an der Medizinischen Klinik III, Universitätsklinikum Bonn
E-Mail: valentin.schaefer@ukbonn.de
Das Interview führte
Dr. Felicitas Witte
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
In einer prospektiven Studie der Universitätsklinik Bonn hatte mehr als jeder dritte Patient mit rheumatoider Arthritis (RA) oder Psoriasis-Arthritis (PsA) eine Lungenbeteiligung.1 Weshalb es dazu kommt und warum er eine frühzeitige Bildgebung des Thorax auch dann empfiehlt, wenn keine Symptome vorliegen, erklärt der federführende Autor Prof. Valentin S. Schäfer.
Die EULAR-Leitlinien empfehlen derzeit kein routinemässiges Screening auf pulmonale Manifestationen bei neu diagnostizierter rheumatoider Arthritis (RA) oder Psoriasis-Arthritis (PsA). Sollte dies nach den Ergebnissen Ihrer Studie hinzugefügt werden? Sie haben nur 50 Patienten eingeschlossen.
V. S. Schäfer: Obwohl wir wenige Patienten untersucht haben, deuten die Ergebnisse unserer prospektiven Studie darauf hin, dass eine erhebliche Anzahl von Patienten mit RA oder PsA eine subklinische Lungenbeteiligung aufweisen. Angesichts der potenziellen klinischen Relevanz dieser Befunde könnte es sinnvoll sein, diese Thematik in zukünftige Leitlinien aufzunehmen. Allerdings sollten grössere, multizentrische Studien durchgeführt werden, um die Evidenz zu festigen, bevor eine generelle Empfehlung ausgesprochen wird.
In Zukunft ist zu überlegen, ob man nicht anstatt eines Röntgen-Thorax lieber gleich eine Computertomografie (CT) des Thorax durchführt, da die Strahlenbelastung nur geringgradig höher ist. Bei einem Thorax-CT in zwei Ebenen sind es 0,1mSv, bei einer hochauflösenden CT (HRCT) des Thorax 0,3mSv. Die Strahlenbelastung durch die natürliche Strahlenbelastung liegt weltweit bei etwa 2–3mSv pro Jahr.
Haben Sie die Ergebnisse Ihrer Studie überrascht?
V. S. Schäfer: Ja, ich hatte nicht mit einer so hohen Prävalenz gerechnet. 17 von 46 Patienten, also 37%, wiesen radiologische Auffälligkeiten auf, zum Teil ohne dabei Symptome zu haben. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, subklinische Manifestationen bei diesen Erkrankungen genauer zu untersuchen.
Wie erklären Sie sich, dass Ihre Prävalenzzahlen so viel höher sind als in der Literatur beschrieben?
V. S. Schäfer: Es gibt nur wenige prospektive Studien, die eine strukturierte Röntgenbeurteilung vorgenommen haben. Zudem steht nicht an jedem Standort ein erfahrener Thoraxradiologe zur Verfügung. Weiterhin waren nicht alle von uns als verdächtig auf eine interstitielle Lungenerkrankung (ILD) eingestuften Befunde tatsächlich eine ILD. Eine endgültige Abklärung hätte bei jedem Patienten die Durchführung einer HRCT erfordert.
Die Auffälligkeiten könnten durch andere Krankheiten bedingt sein und nichts mit der Arthritis zu tun haben.
V. S. Schäfer: Ja, das ist denkbar. In unserer Studie hatten 32 von 50 Patienten, also 64%, radiologische Veränderungen, die unsere Thoraxradiologen als pathologisch klassifiziert haben. Diese Veränderungen waren jedoch nicht notwendigerweise spezifisch für eine Lungenbeteiligung im Zusammenhang mit einer Arthritis. Einige der radiologischen Auffälligkeiten könnten möglicherweise auf andere Erkrankungen wie Rauchen, Infektionen oder frühere Lungenschäden zurückzuführen sein und müssen im klinischen Kontext weiter abgeklärt werden.
Die Leitlinie des American College of Rheumatology und des American College of Chest Physicians2 (ACR/CHEST) empfiehlt eine HRCT zum Screening anstelle des Röntgen-Thorax, weil die Sensitivität zu gering ist. Warum haben Sie Ihre Patienten nicht mit HRCT untersucht?
V. S. Schäfer: Die ACR/CHEST-Leitlinie wurde erst 2024 veröffentlicht. Unsere Studie begann 2018, als diese Empfehlung noch nicht vorlag. Daher wurde der Röntgen-Thorax als praktikabler und leitlinienkonformer Ansatz gewählt, da er zum damaligen Zeitpunkt als Standardverfahren galt und eine breitere Verfügbarkeit sowie geringere Strahlenexposition bot.
Wie erklären Sie sich pathophysiologisch die Lungenbeteiligung bei entzündlicher Arthritis?
V. S. Schäfer: Sie beruht auf komplexen immunologischen und entzündlichen Mechanismen, die sowohl das Parenchym der Lunge als auch die Atemwege betreffen können. RA und PsA sind systemische Autoimmunerkrankungen, bei denen die Fehlregulation des Immunsystems nicht nur die Gelenke, sondern auch die Lunge in Mitleidenschaft zieht. T- und B-Lymphozyten sowie proinflammatorische Zytokine wie TNF-α, IL-6, IL-17 und IL-1 sind für den Entzündungsprozess in den Gelenken verantwortlich und können auch in der Lunge eine entzündliche Reaktion hervorrufen. Das führt zur ILD. Chronische entzündliche Prozesse in der Lunge können dann zur Aktivierung von Fibroblasten und zur Einlagerung von Kollagen führen, was letztlich eine Lungenfibrose auslöst. Diese Fibrosierung der Lunge ist insbesondere bei Patienten mit fortgeschrittener RA häufig, aber auch bei PsA-Patienten kann eine ähnliche Pathologie beobachtet werden. Weiterhin spielen Autoantikörper pathophysiologisch eine Rolle, insbesondere der Rheumafaktor und der Anti-CCP-Antikörper. Diese Autoantikörper, die bei RA im Serum häufig nachweisbar sind, können möglicherweise auch in der Lunge Entzündungsprozesse auslösen. Es wird vermutet, dass das Lungengewebe bei RA-Patienten zu einem Ort der Autoantikörperproduktion wird und so eine lokal verstärkte Immunantwort ausgelöst wird. Die chronische Entzündung kann zudem die Atemwege und die kleinen Bronchien betreffen, was zu obstruktiven Veränderungen führen kann. Dies erklärt, warum einige RA- und PsA-Patienten Symptome zeigen, die einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) ähneln.
Warum haben Sie in Ihrer Studie keinen Zusammenhang gefunden mit bekannten Risikofaktoren wie männlichem Geschlecht, Rauchen oder hohen Titern von ACPA-Antikörpern und einer ILD?
V. S. Schäfer: Dies könnte auf die geringe Teilnehmerzahl zurückzuführen sein. Das reduziert die statistische Power und die Fähigkeit, solche Assoziationen zu erkennen. Zudem könnten Unterschiede in der Studienpopulation, methodische Variationen oder andere unbeachtete Faktoren eine Rolle spielen. Weitere umfangreichere Studien sind erforderlich, um diese Zusammenhänge klarer zu definieren.
Welche Konsequenzen ziehen Sie aus Ihrer Studie für die Praxis?
V. S. Schäfer: Unsere Studie zeigt, dass eine frühzeitige Bildgebung des Thorax auch in Abwesenheit von Symptomen sinnvoll sein kann. Dies könnte dazu beitragen, subklinische Lungenbeteiligungen frühzeitig zu erkennen und das therapeutische Management insbesondere bei Risikopatienten wie Rauchern oder Personen mit hohen ACPA-Titern entsprechend anzupassen. Langfristig wird sich vermutlich die HRCT als bevorzugtes Verfahren durchsetzen, da sie eine deutlich höhere Sensitivität für die Erkennung interstitieller Lungenveränderungen aufweist. Die Strahlenbelastung liegt zwar höher als beim konventionellen Röntgen, ist jedoch in einem klinischen Kontext vertretbar. Wir regen an, die EULAR-Leitlinien dahingehend zu erweitern, dass ein routinemässiges Screening auf pulmonale Manifestationen bei RA und PsA empfohlen wird. Zugleich sind weitere Studien notwendig, um diese Empfehlungen zu validieren.
Wie beurteilen Sie das Risiko vonÜberdiagnosen, wenn jeder Patient mit Arthritis auf Lungenveränderungen gescreent wird?
V. S. Schäfer: Das Risiko besteht, insbesondere wenn radiologische Auffälligkeiten entdeckt werden, die keine unmittelbare klinische Relevanz besitzen. Daher ist es entscheidend, den Nutzen eines routinemässigen Screenings sorgfältig abzuwägen. Eine differenzierte Beurteilung der Patientencharakteristika und Risikofaktoren spielt hierbei eine zentrale Rolle. Diese Einschätzung sollte idealerweise in einem interdisziplinären ILD-Board erfolgen. Im Rahmen einer von mir als Sprecher des Arbeitskreises Lungenbeteiligung bei rheumatologischen Erkrankungen der DGRh3 initiierten Umfrage wird derzeit die Prävalenz von ILD-Boards sowie deren Zusammensetzung und Standardisierung in Deutschland erfasst. Damit erhoffen wir uns wertvolle Einblicke in die aktuelle Versorgungspraxis und eine Grundlage für die Optimierung der interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Diagnostik und dem Management der ILD in der Rheumatologie. Ziel ist es, standardisierte Empfehlungen zur Implementierung und Struktur solcher Boards zu entwickeln, um eine frühzeitige und präzise Diagnose sowie eine effektive Behandlung zu fördern.
Gibt es valide Belege, dass eine frühe therapeutische Intervention Morbidität und Mortalität durch die Lungenbeteiligung senken kann?
V. S. Schäfer: Die INBUILD-Studie4 untersuchte Wirksamkeit und Sicherheit von Nintedanib bei Patienten mit fortschreitenden fibrosierenden ILDs. Davon hatten 88 Patienten eine mit rheumatoider Arthritis assoziierte ILD (RA-ILD). In dieser multizentrischen, randomisierten, placebokontrollierten Phase-III-Studie reduzierte Nintedanib signifikant die jährliche Abnahme der forcierten Vitalkapazität (FVC), unabhängig von der zugrunde liegenden Ursache der ILD. Dies unterstreicht, dass eine frühzeitige Behandlung das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und die Morbidität reduzieren kann. Die Ergebnisse heben die Bedeutung einer raschen Diagnosestellung hervor, um Patienten frühzeitig in den Behandlungsprozess einzubinden.
Wie sollte man als niedergelassener Rheumatologe vorgehen?
V. S. Schäfer: Achten Sie bei Ihren Patienten mit RA oder PsA auf Symptome wie anhaltenden Husten und/oder Atemnot. Abklären lässt sich dies zunächst wunderbar per Auskultation, die eine hohe Sensitivität und Spezifizität aufweist. Danach sollten Sie die Patienten zeitnah zur weiteren Abklärung an eine spezialisierte Klinik überweisen, in denen im besten Fall ein ILD-Board vorhanden ist.
Planen Sie weitere Studien?
V. S. Schäfer: Ja, wir wollen demnächst untersuchen, wie sich Lungenveränderungen bei fortgeschrittenen Erkrankungen entwickeln und welche Faktoren das Fortschreiten der Lungenschäden beeinflussen. Wir haben gerade einen Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ein deutschlandweites RA-ILD-Register gestellt, der sich in Begutachtung befindet.
Literatur:
1 Schaefer VS et al.: Rheumatol Int 2024; 44: 1975-1986 2 Johnson SR et al.: Arthritis Rheumatol 2024; 76: 1182-1200 3 https://www.dgrh.de/Start/DGRh/Die-Gesellschaft/Arbeitskreise/Arbeitskreis-Lungenbeteiligung-bei-rheumatologischen-Erkrankungen.html 4 Flaherty KR et al.: N Engl J Med 2019; 381: 1718-1727
Das könnte Sie auch interessieren:
Neutralisierende Antikörper: wenn Biologika aus dem Plasma verschwinden
Unter Therapie mit Biologika kommt es häufig zur Bildung sogenannter neutralisierender Antikörper, die an die therapeutischen Antikörper binden und deren Wirkung vollständig ...
Vermehrt auch in Österreich: genetische Hämoglobinopathien
Angesichts der aktuellen Migrationsbewegungen in und um Europa besteht vermehrt die Möglichkeit, im klinischen Alltag mit in Mitteleuropa bisher sehr seltenen genetischen Erkrankungen ...
ACR 2024: klinische Studien und das Placeborätsel
Zwischen 15. und 19. November fand in Washington die jährliche Convergence des American College of Rheumatology (ACR) statt. Im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft ...