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Biosimilars helfen sparen
Leading Opinions
30
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05.03.2020
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<p class="article-intro">Biologika sind ein Segen in der Rheumatologie. Doch die Medikamente sind enorm teuer und belasten das Gesundheitssystem. Dabei gibt es seit Jahren preiswerte Nachahmerprodukte, die Biosimilars. Rheumatologen zögern jedoch und verschreiben Original-Biologika viel häufiger als Biosimilars. Das verursacht unnötige Kosten in Millionenhöhe.</p>
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<p class="article-content"><p>Biologika haben den Krankheitsverlauf von Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen enorm verbessert. In vielen Fällen lässt sich die Erkrankung damit beherrschen und ein Fortschreiten um Jahre hinauszögern. Doch Rheumatologen verschreiben noch zu selten Biosimilars. «Vor allem bei der Neueinstellung», sagt Prof. Dr. med. Diego Kyburz, Chefarzt Rheumatologie am Universitätsspital Basel und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie. «Dabei gibt es inzwischen genügend Studien, die gezeigt haben, dass sowohl eine Neueinstellung als auch ein Wechsel bei gleicher Wirksamkeit und Sicherheit möglich sind.»<br /> Mit biologisch hergestellten Medikamenten, die gegen rheumatische Krankheiten eingesetzt werden, machten Pharmafirmen im Jahr 2018 einen Umsatz von 571 Millionen Franken – Biosimilars nahmen dabei nur einen Anteil von 2,7 % ein. «Als die ersten Biosimilars auf den Markt kamen, haben viele Kollegen wegen des Begriffs gedacht, die seien ja nur ähnlich und deshalb nicht austauschbar», sagt Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). «Die Pharmalobby der Originalhersteller benutzte regelmässig den Slogan ‹ähnlich, aber nicht gleich›, um Ärzte von der Verordnung von Biosimilars abzuhalten.» Diese Schlagzeile griffen viele Journalisten auf, sogar Fachjournalisten. Offenbar hatte sich kaum jemand damals die Mühe gemacht zu verstehen, was Biosimilars genau sind. Kein Wunder, dass Ärzte zögern, abgesehen davon mangelt es im Alltag oft an Zeit, sich über Biosimilars genau zu informieren. Doch niemand muss sich in komplizierte Fachliteratur vertiefen: Das Kapitel über Biologika und Biosimilars im alljährlich erscheinenden Arzneiverordnungs-Report in Deutschland ist auch für Schweizer Ärzte eine gute Grundlage für unabhängige Informationen über die Präparate und die einschlägigen Studien.<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Ortho_2001_Weblinks_lo_ortho_2001_s30_tab1_witte.jpg" alt="" width="550" height="584" /></p> <h2>Es fehlen die Anreize</h2> <p>Fünfmal häufiger verschreiben Rheumatologen hierzulande ein Original-Biologikum als ein Biosimilar, hat Andreas Schiesser, Tarifexperte beim Krankenversicherungsverband curafutura, ausgerechnet. In Deutschland sind es gar siebenmal so viel. «Das verursacht völlig unnötig Kosten », sagt Schiesser. Bis zu 40 Millionen Franken, so ergaben Schiessers Berechnungen, könnte die Schweiz pro Jahr sparen, wenn Ärzte öfter Biosimilars verschreiben würden. Sparen tut not: Seit Jahren verzeichnen die Kassen stetig steigende Ausgaben für gentechnisch hergestellte Medikamente in der Rheumatologie. Waren es 2013 nach Berechnungen von curafutura «nur» 386 Millionen pro Jahr, sind es heute 571 Millionen.<br /> «Hierzulande fehlen die Anreize, Biosimilars zu verschreiben», sagt Martina Weiss, Leiterin Verträge und Vergütung Arzneimittel und Medizinprodukte bei der Helsana-Krankenversicherung. «Die Originalpräparate sind immer noch marktführend, und die Ärzte setzen Biosimilars nur zögerlich ein. Wir hinken anderen europäischen Ländern klar hinterher.» Warum Ärzte so zögern, habe verschiedene Gründe. Zum einen wolle der Arzt seine therapeutische Freiheit behalten. Zum anderen gäbe es keine verbindlichen Vorgaben für die Ärzte, wirtschaftlich zu verschreiben. «Ausserdem merken wir immer wieder, dass die Hersteller von Originalpräparaten vielen Ärzten Rabatte gewähren», sagt Weiss. «All das dämpft natürlich den stärkeren Einsatz von Biosimilars.»</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Ortho_2001_Weblinks_lo_ortho_2001_s31_abb1_witte.jpg" alt="" width="550" height="350" /></p> <h2>Behörde prüft Biosimilars penibel</h2> <p>Der Begriff Biosimilar mag unglücklich gewählt sein, aber er ist im Grunde genommen korrekt: Im Gegensatz zu Generika sind Biosimilars nämlich keine identische Kopie vom Originalpräparat, sondern unterscheiden sich minimalst. Das ist jedoch ein Merkmal aller gentechnisch hergestellten Medikamente und keines, das Biosimilars von Biologika unterscheidet. Selbst jede neue Charge eines Biologikums ist nie identisch mit der vorherigen. «Das können sie auch gar nicht sein, weil es grosse und komplizierte Moleküle sind, die in lebenden Zellen hergestellt werden», sagt Ludwig. «An einem Baum ist ja auch kein Blatt identisch mit einem anderen.» Die Zulassungsbehörde prüft jedoch penibel, ob sich der Unterschied zwischen Biosimilar und Original-Biologikum – welches oft als Referenzarzneimittel bezeichnet wird – in Grenzen hält. So muss die Pharmafirma nachweisen, dass sich ihr Biosimilar nur so weit vom Original-Biologikum unterscheidet, dass Wirksamkeit und Sicherheit im Vergleich zum Original nicht beeinflusst werden. Der Fokus liegt beim Zulassungsprozess auf der Qualität. Bei der Präklinik und Klinik kann das Dossier reduziert sein, weil auf das Referenzpräparat Bezug genommen werden kann.<br /> Bei der Behandlung mit Biosimilars muss man unterscheiden, ob ein Patient neu ein gentechnisch hergestelltes Medikament bekommen soll oder ob er schon eines hat und der Arzt eine Umstellung vorschlägt. «Dass man problemlos neu mit einem Biosimilar beginnen kann statt mit einem Biologikum, zweifeln inzwischen weniger Kollegen an», sagt Ludwig. «Aber beim Wechsel zögern immer noch zu viele.» Dabei haben inzwischen Dutzende von Studien gezeigt, dass ein Wechsel weder Sicherheit noch Wirksamkeit der Therapie beeinflusst. Biosimilars sind Biologika ebenbürtig, das bestätigt auch eine ganz aktuelle Netzwerk-Metaanalyse aus 36 randomisierten klinischen Studien<sup>2</sup> – vom Studiendesign her eine Topqualität. Im Vergleich zu Placebo reduzierten Infliximab, Etanercept, Adalimumab, Certolizumab und Golimumab die Gelenkzerstörung bei rheumatoider Arthritis signifikant. Der Effekt betrug etwa 0,9 % pro Jahr bei einer Biologika- beziehungsweise Biosimilar- Monotherapie und 1,2 % , wenn die Präparate mit Methotrexat kombiniert wurden. Es machte dabei keinen Unterschied, ob der Patient ein Original-Biologikum oder ein Biosimilar bekam. «Man kann seinen Patienten versichern, dass Biosimilars genauso gut wirken wie Biologika», sagt Prof. Dr. med. Stephan Krähenbühl, Chef der Arzneimittelkommission am Universitätsspital Basel. «Bis jetzt gab es bei den Biosimilars, die in der Schweiz auf dem Markt sind, keine Unterschiede, die die Wirksamkeit oder die Sicherheit der Therapien klinisch relevant beeinträchtigt haben.»</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Ortho_2001_Weblinks_lo_ortho_2001_s31_tab2_witte.jpg" alt="" width="550" height="341" /></p> <h2>Negative Einstellung beeinträchtigt den Behandlungserfolg</h2> <p>Gelegentlich wurde in den Studien vom Nocebo-Effekt berichtet: Eine negative Einstellung gegenüber dem Biosimilar wirkt sich ungünstig auf den Behandlungserfolg aus. So brach beispielsweise in einer Studie aus den Niederlanden jeder Vierte der 192 Patienten die Therapie nach Umstellung auf ein Biosimilar vom Rheumamittel Infliximab ab, weil er das Gefühl hatte, es wirke nicht, und/oder Nebenwirkungen auftraten.<sup>3</sup> In einer Untersuchung aus Dänemark setzte jeder Elfte der 802 Patienten das Infliximab-Biosimilar nach der Umstellung ab, weil es angeblich nicht wirkte – dabei war seine entzündliche Arthritis genauso kontrolliert wie vorher.<sup>4</sup> Wird die Therapie in einem negativen Kontext gegeben, so fanden Forscher von der Universität in Turin heraus, kommt es zu einem Anstieg von Schmerz-Botenstoffen und erhöhter Nervenaktivität in den Hirnregionen, die in die Verarbeitung von Schmerz involviert sind.<sup>5–7</sup> Eine grosse Rolle spielt offenbar, ob der Patient weiss, dass er ein Biosimilar bekommt. In doppelblinden Studien, in denen weder Arzt noch Patient wussten, ob dieser ein Biosimilar bekam, brachen viel weniger Patienten die Therapie ab.<sup>8</sup></p> <h2>Mehr Zeit für Patientenaufklärung</h2> <p>Ganz so einfach wie bei Generika sei die Substitution aber nicht, sagt Prof. Dr. med. Klaus Krüger, Sprecher der Kommission Pharmakotherapie bei der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie. «In Deutschland werden wir demnächst zehn verschiedene Biosimilars von Adalimumab haben. Jedes hat seine eigene Fertigspritze oder seinen eigenen Pen, die unterschiedlich angewendet werden. Wer erklärt das dem Patienten?» Er schlägt in seiner Praxis in München etwa 8 von 10 Patienten den Umstieg auf ein Biosimilar vor. Bei den meisten klappe das problemlos. «Man muss sich aber Zeit für den Patienten nehmen, um ihm den Wechsel zu erläutern.»<br /> Vergessen wird bei der ganzen Diskussion oft, was Patienten über die neue Regel denken. Warum sollten sie mit einem Austausch einverstanden sein? Warum sollten sie sich an eine andere Spritze gewöhnen? Warum sollten sie das Risiko eines Wirkungsverlusts eingehen, auch wenn dieses Risiko sehr klein ist? «Ich könnte mir gut vorstellen, ein Biosimilar zu nehmen», sagt Jeanette Prautzsch, die seit Jahren unter rheumatoider Arthritis leidet. «Ich möchte gerne etwas tun, um im Gesundheitssystem zu sparen – aber das möchte ich vorher in Ruhe mit meinem Arzt besprechen.» Finanziell hat ein Patient von der Umstellung nichts – die Jahrestherapiekosten sind bei beiden Mitteln so hoch, dass der Patient auch für ein Biosimilar den maximalen Selbstbehalt zahlen muss. «Es kommt dem Patienten aber indirekt zugute», sagt Martina Weiss von der Helsana: «Geben Versicherungen weniger Geld aus, bleiben die Prämien stabil.»</p> <h2>Mehr Biosimilars durch das Referenzpreissystem?</h2> <p>Hierzulande herrschen für die Hersteller von Originalpräparaten im Vergleich zu anderen Ländern – etwa Deutschland – paradiesische Zustände. Das geplante Referenzpreissystem, das der Bundesrat einführen will, könnte die Verschreibung preiswerterer Biosimilars fördern. «Wir fordern das Referenzpreissystem schon lange», sagt Martina Weiss. «Wenn bei patentabgelaufenen Medikamenten nicht gespart wird, können wir uns Innovation bald nicht mehr leisten.»<br /> Im Vergleich zu anderen Ländern lässt das Gesetz in der Schweiz Arzt und Apotheker ziemlich viel Freiraum, sodass der Patient eher ein teures Originalpräparat bekommt statt eines preiswerteren Nachahmer-Medikamentes. Schreibt man seinem Patienten zum Beispiel «Aspirin<sup>®</sup> Cardio» auf ein Rezept und notiert dazu nicht, dass es unbedingt das Original-Aspirin sein muss, darf der Apotheker dem Patienten das preiswerte Generikum Acetylsalicylsäure abgeben. Er muss das aber nicht, sondern kann dem Patienten auch das teurere Aspirin verkaufen. Der Apotheker hat also ein Recht, ein Generikum zu geben, ist dazu aber nicht gezwungen. Für den Patienten kann dies höhere Kosten bedeuten.<br /> Will der Apotheker das Original verkaufen und es gibt aber ein günstigeres Generikum, muss er den Patienten gemäss Krankenpflege-Leistungsverordnung darüber informieren. Das gleich gilt im Falle einer Selbstdispensation für den Arzt. Der Patient muss auch informiert werden, wenn er für das teurere Arzneimittel, also zum Beispiel das Original, einen erhöhten Selbstbehalt zahlen muss.<br /> Das oben beschriebene Substitutionsrecht gilt für alle Medikamente, die auf der Spezialitätenliste stehen, Biosimilars fallen aber nicht darunter. Apotheker dürfen also ohne Anordnung des behandelnden Arztes ein Biologikum nicht durch ein Biosimilar ersetzen.<br /> Mit dem geplanten Referenzpreissystem würden – vereinfacht gesagt – die Kassen nur einen bestimmten Preis zahlen, sofern man als Arzt nicht explizit das Original verordnet hat. Möchte der Patient trotzdem unbedingt das Original, müsste er die Differenz dazuzahlen, wenn der Arzt nichts anderes auf das Rezept geschrieben hat.<br /> «Wir können heute noch nicht abschätzen, wie hoch die Preise der einzelnen Arzneimittel nach der Einführung eines Referenzpreissystems jeweils sein werden», sagt Andrea Rizzi, Leiterin Sektion Arzneimittelüberprüfungen beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). «Denn es liegt an den Herstellern, wie sie die Preise festlegen.» Die Pharmafirma eines Original-Biologikums könnte beispielsweise einen Preis festlegen, der deutlich über dem Referenzpreis liegt. Sie könnte aber auch einen Preis bestimmen, der nur knapp über dem Referenzpreis ist, dem Referenzpreis entspricht oder sogar unter dem Referenzpreis ist. In letzterem Fall kann der Preis des Original-Biologikums auch dem Preis eines Biosimilars entsprechen. «Daher kann man nicht pauschal sagen, dass der Preis eines Biosimilars deutlich unter dem Preis eines Biologikums liegen wird», so Rizzi.<br /> Gemäss der Vorlage, die nun im Parlament beraten wird, soll der Referenzpreis nicht vom Schweizer Preis des Original-Biologikums abhängig sein, sondern vom durchschnittlichen Fabrikabgabepreis des Original-Biologikums im Ausland, der über den Auslandpreisvergleich eruiert wird. Für den Referenzpreis bestimmt das BAG den Durchschnittspreis für das Original-Biologikum in 9 europäischen Ländern und zieht davon einen Abschlag ab (Abb.2). Der Hersteller eines Original-Biologikums oder eines Biosimilars könnte einen Preis festlegen, der darüber oder darunter liegt oder gleich ist. Die Kassen würden dann nur den Referenzpreis bezahlen – immer unter der Voraussetzung, dass der Arzt nicht explizit auf das Rezept geschrieben hat, dass der Patient ein Original-Biologikum bekommen soll.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Ortho_2001_Weblinks_lo_ortho_2001_s32_abb2_witte.jpg" alt="" width="850" height="505" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Dicheva-Radev S, Ludwig WD: Biologika und Biosimilars. In: Schwabe U et al. (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2019. Springer, Berlin, Heidelberg 2019 <strong>2</strong> Graudal N et al.: Int J Mol Sci 2019; 20: 4350 <strong>3</strong> Tweehuysen L et al.: Arthritis Rheumatol 2018; 70: 60-8 <strong>4</strong> Glintborg B et al.: Ann Rheum Dis 2017; 76: 1426-31 <strong>5</strong> Carlino E, Benedetti F: Neuroscience 2016; 338: 19-26 <strong>6</strong> Benedetti F et al.: Neuroscience 2007; 147: 260-71 <strong>7</strong> Palermo S et al.: Hum Brain Mapp 2015; 36: 1648-61 <strong>8</strong> Odinet JS et al.: Manag Care Spec Pharm 2018; 24: 952-9</p>
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