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Entzündung behandelt – Schmerz bleibt?
Bericht:
Dr. Doris Maugg
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Patienten mit rheumatischen Erkrankungen leiden häufig trotz erfolgreicher Entzündungskontrolle an chronischen Schmerzen. Begleitsymptome wie Depressionen, Fatigue oder Fibromyalgie deuten darauf hin, dass es sich bei rheumatischen Erkrankungen um gemischte Schmerzkategorien handelt, erklärte Prof. Dr. Neil Basu, Großbritannien, in seinem Vortrag auf dem EULAR 2024.
Keypoints
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Trotz Krankheitskontrolle bleiben bei vielen Patienten mit rheumatischen Erkrankungen chronische Schmerzen bestehen.
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Rheumatische Erkrankungen zählen zur nozizeptiven Schmerzform, weisen aber auch Charakteristika der noziplastischen Domäne auf.
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Rheumatoide Arthritis (RA) geht z.T. mit Fibromyalgie, Fatigue, Depressionen und Schlafstörungen einher. Diese Symptome müssen neben den Schmerzen gezielt mit pharmakologischen und/oder nichtpharmakologischen Interventionen behandelt werden.
Chronische Schmerzen treten bei allen rheumatischen Erkrankungen auf und sind häufig das erste Symptom. Da sich chronische Schmerzen auch auf soziale Bereiche, auf den Schlaf und die Psyche der Patienten auswirken, können sie die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen, erklärte Neil Basu, Professor für muskuloskelettale Medizin und Vaskulitis an der Universität Glasgow. Für ein besseres Verständnis von Schmerz werden gemäß der Definition der International Association for the Study of Pain (IASP) drei mechanistische Schmerzkategorien unterschieden:
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Nozizeptiver Schmerz, der durch eine bestehende Entzündung und nichtneurale Gewebeschäden verursacht wird. Dabei werden Nozizeptoren aktiviert. Ein Beispiel dafür sei die Osteoarthritis, erklärte Basu. Hier könne der Schmerz behandelt werden, indem die zugrunde liegende Ursache – das entzündete Gelenk – z.B. durch ein künstliches Gelenk ersetzt werde. Bei rheumatoider Arthritis (RA), ebenfalls einem „Prototyp“ des nozizeptiven Schmerzes, könne mit DMARDs oder Biologika behandelt werden, wodurch nozizeptive Schmerzen gelindert würden.
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Neuropathischer Schmerz, der durch eine Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems hervorgerufen wird. Auch bei dieser Schmerzform wird die zugrunde liegende Ursache gezielt behandelt, wie beispielsweise die Behandlung einer vaskulitischen Neuropathie mit dem Zytostatikum Cyclophosphamid.
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Noziplastischer Schmerz beschreibt eine dritte Kategorie und ist noch nicht vollständig verstanden. Der Schmerz entstehe durch eine veränderte Nozizeption, jedoch ohne eindeutige Hinweise auf eine akute oder drohende Gewebeschädigung, so Basu. Auch gebe es keine Hinweise auf eine Erkrankung oder Läsion des somatosensorischen Systems. Noziplastischer Schmerz geht zudem mit ZNS-Symptomen wie Fatigue, Schlafstörungen, kognitiven Beeinträchtigungen und Stimmungsschwankungen einher oder tritt in isolierter Form u.a. als Fibromyalgie auf.1
Noziplastischer Schmerz bei Patienten mit RA
Obwohl bei Patienten mit RA eine immunsuppressive Therapie erfolgreich ansprechen und die Entzündung im Gelenk verringert werden kann, bleiben chronische Schmerzen bei etwa der Hälfte der Patienten bestehen, erklärte der Rheumatologe.2 Allerdings seien RA-assoziierte Gelenkschädigungen nicht zwingend mit Schmerzen verbunden. Dies deute auf komplexere Zusammenhänge der Schmerzkategorien hin. „Spielen vielleicht noziplastische Mechanismen eine Rolle bei einer Erkrankung, die eigentlich klassisch als nozizeptiv eingeordnet wird?“ Denn einige noziplastische Schmerzerkrankungen wie Fibromyalgie und Fatigue treten bei Patienten mit RA gehäuft auf. Fibromyalgie sei bei Patienten mit RA mit einer Prävalenz von 13% bis 25% erhöht im Vergleich zu einer Prävalenz von 1% bis 5% in der Gesamtbevölkerung, erklärte er.
Fibromyalgie: Prototyp noziplastischer Schmerzen
Fibromyalgie (FM) und noziplatischer Schmerz im Allgemeinen gehen häufig mit weiteren Symptomen wie Depressionen und Fatigue einher. Die ACR-Kriterien zur Klassifikation der FM eignen sich zur Abfrage der FM-assoziierten Schmerzen und weiterer Begleitsymptome. Zum Management von FM und noziplastischen Schmerzen können die EULAR-Empfehlungen herangezogen werden.3 Basu hob als erste „Upfront“-Maßnahme im Management der FM die Aufklärung der Patienten hervor, gefolgt von spezialisierten Trainingsprogrammen: Der Patient müsse verstehen, dass eine reale Biologie hinter diesen Schmerzen stecke. „Die Schmerzen sind real“, so Basu. Die Ursachen für die Schmerzen können unterschiedlich sein und bedürften daher einer unterschiedlichen Therapie. Zudem müssten koexistierende Symptome wie Depression, Angststörungen oder Fatigue, die häufig mit Fibromyalgie oder noziplastischem Schmerz verbunden sind, gezielt behandelt werden. Als Beispiel nannte Basu Studien um Lesley M. Arnold, die zeigten, dass eine Behandlung mit dem Antidepressivum Duloxetin die Fatigue verringern konnte, jedoch nur bei Personen, die auch auf eine Schmerzreduktion ansprachen.4
Wenn Aufklärung und spezialisierte Trainings nicht ausreichen, kommen pharmakologische Interventionen ins Spiel, insbesondere bei Begleitsymptomen: Bei starken Schmerzen und damit verbundenen Schlafstörungen ist z.B. gemäß den EULAR-Empfehlungen Amitriptylin indiziert, bei Angststörungen Pregabalin und bei Depression selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI).3
Nichtpharmakologische Interventionen wie manuelle Therapie, Physiotherapie, Tai Chi, Yoga und Verhaltenstherapie können die Beschwerden verbessern. Basu betonte, dass „obwohl es oft keine Evidenz aus randomisiert-kontrollierten Studie gibt, diese Therapien der Mehrheit der Patienten helfen können“. Es sei wichtig, dem Patienten zuzuhören und mit ihm solche Maßnahmen zu besprechen. Basu warnte davor, bei Patienten mit noziplatischen Schmerzen Opioide einzusetzen, da diese den Schmerz verschlimmern würden, indem sie die „bereits bestehende Dysregulation“ bei noziplastischen Schmerzen verstärken würden.
Verhaltensorientierte Ansätze bei Fatigue
Basu stellte im Hinblick auf den Zusammenhang von Schmerzen und Fatigue die Ergebnisse der LIFT(Lessening the Impact of Fatigue Trial)-Studie aus dem Jahr 2022 vor, in welcher die Arbeitsgruppe um Basu nichtpharmakologische Interventionen zum Management der Fatigue bei Patienten mit stabiler entzündlicher rheumatischer Erkrankung untersuchte.5 Die Forschenden verglichen ausschließlich telefonisch durchgeführte kognitive verhaltensorientierte Ansätze („cognitive behavioural approaches“; CBA) und personalisierte Übungsprogramme („personalized exercise programme“; PEP) zusätzlich zur Standardbehandlung gegenüber einer Standardbehandlung allein bei Patienten, die an einer klinisch relevanten und anhaltenden Fatigue litten. Die Mehrzahl der Patienten in dieser Studie hatte eine RA.
Mit einem webbasierten System wurden 367 eingeschlossene Patienten randomisiert. Ein für rheumatische Erkrankungen geschultes Fachpersonal führte die CBA- bzw. PEP-Sitzungen über einen Zeitraum von 6 Monaten durch. Als koprimäre Endpunkte wurden der Schweregrad der Fatigue mithilfe des Chalder-Fatigue-Fragebogens sowie die Auswirkungen der Fatigue (Fatigue Severity Scale) nach 56 Wochen bewertet. 75% der Patienten waren weiblich und im Mittel 57,5 Jahre alt. CBA und PEP verringerten den Schweregrad der Fatigue signifikant nach Ende der Behandlung (6 Monate) sowie nach der anschließenden sechsmonatigen Nachbeobachtung (12 Monate). Die Behandlungen verbesserten zudem das allgemeine Wohlbefinden der Patienten sowie die mit mentaler Gesundheit verknüpfte Lebensqualität und Schlafstörungen. Basu betonte, dass sich auch der noziplastische Schmerz verbessert habe.
Brain-Imaging: Gleiche Hirnregionen sind involviert
Um zu verstehen, welche Schmerzmechanismen bei Patienten mit entzündlichen Erkrankungen eine Rolle spielen, nutzen die Forschenden um Basu funktionale MRT (fMRI), um interagierende Gehirnregionen bei Patienten mit RA und Fatigue bzw. Fibromyalgie und chronischen Schmerzen zu visualisieren. Bei Patienten mit FM sind abweichende Konnektivitätsmuster im Gehirn zwischen dem Default Mode Network (DMN) und der Insula charakteristisch.6 Basu und Kollegen konnten zeigen, dass abweichende funktionelle Konnektivitätsmuster bei Patienten mit RA denen von FM-Patienten ähneln und in den neurobiologischen Eigenschaften übereinstimmten. Hierfür untersuchten sie Patienten mit mittels fMRI mit den höchsten Werten für FM und den höchsten Werten für noziplastischen Schmerz. Die Auswertung von 59 Patienten zeigte eine signifikante positive Korrelation zwischen der DMN-Konnektivität zur linken mittleren/posterioren Insula und dem Grad der FM. Dies und die Ergebnisse weiterer Studien hätten eindeutig gezeigt, dass „noziplastischer Schmerz auch bei Patienten mit RA evident sei“, sagte Basu.
Gemischte Schmerzformen als Norm betrachten
Bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen seien „gemischte Schmerzformen die Norm“, sagte Basu abschließend. Deshalb müsse die Behandlung von chronischen Schmerzen bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen auf Basis einer maßgeschneiderten Therapie erfolgen und unterschiedliche gemischte Schmerzmechanismen berücksichtigen. Eine standardisierte Skala zur Bewertung der Schmerzen reiche nicht aus. Wenn Entzündung evident sei, müsse diese behandelt werden und die Behandlung sollte alle auftretenden Symptome einschließen, um das allgemeine Wohlbefinden des Patienten zu verbessern.
Quelle:
Scientific Session „Patient Tailored Pain Management in RMDs“, anlässlich des EULAR 2024, Wien
Literatur:
1 Fitzcharles M-A et al.: Nociplastic pain: towards an understanding of prevalent pain conditions. Lancet 2021; 397(10289): 2098-21102 2 McWilliams DF, Walsh DA: Factors predicting pain and early discontinuation of tumor necrosis factor-α inhibitors in people with rheumatoid arthritis: results from the British Society for Rheumatology Biologics Register. BMC Musculoskelet Disord 2016; 17: 337 3 Macfarlane GJ et al.: EULAR revised recommendations for the management of fibromyalgia. Ann Rheum Dis 2017; 76(2): 318-3284 4 Arnold LM et al.: Improvement in multiple dimensions of fatigue in patients with fibromyalgia treated with duloxetine: secondary analysis of a randomized, placebo-controlled trial. Arthritis Res Ther 2011; 13(2): R86. 5 Bachmair E-M et al.: Remotely delivered cognitive behavioural and personalised exercise interventions for fatigue severity and impact in inflammatory rheumatic diseases (LIFT): a multicentre, randomised, controlled, open-label, parallel-group trial. Lancet Rheumatol 2022; 4(8): e534-e545 6 Basu N et al.: Neurobiologic features of fibromyalgia are also present among rheumatoid arthritis patients. Arthritis Rheumatol 2018; 70(7): 1000-1007
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